Rheinische Post Viersen

Erster Martinszug vor 150 Jahren

Seit dem 10. November 1867 gilt in Dülken: Mühle schlägt Martin. Beim Martinszug reitet kein Mann im roten Mantel an der Spitze. Stattdesse­n wird vorne eine Mühlen-Fackel im Handkarren gezogen. Nur einmal gab es eine Ausnahme

- VON NADINE FISCHER

DÜLKEN Es ist eine Frage, die Bertram Hoogen ein langes Seufzen entlockt: Ist beim Dülkener Martinszug wirklich nie, nicht ein einziges Mal in 150 Jahren, der Sankt Martin vorneweg geritten? Die Frage hört der Vorsitzend­e des Dülkener St.-Martinsver­eins nicht gerne, weil der reitende heilige Mann gerade nicht im Zentrum der Aufmerksam­keit stehen soll. Und weil es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Mal Diskussion­en darum gab, ob der Stadtteil einen Sankt Martin braucht. Bisher haben die Dülkener dann aber strikt entschiede­n: Braucht er nicht. Nur einmal machten sie doch eine Ausnahme.

„Der Dülkener Zug ist vermutlich der früheste Beleg für einen Martinszug im Rheinland“

Arie Nabrings

Autor

Seit 1867 ziehen die Dülkener Jahr für Jahr am 10. November mit Fackeln durch den Ort und singen unterwegs Martinslie­der wie „Loop, Möller, loop“, dazu spielen Musikkapel­len. Wie viele Kinder und Erwachsene an den Zügen teilnehmen, kann Hoogen nur grob schätzen: Mehr als 1000 seien es sicherlich. Als Abschluss zünden die Organisato­ren jedes Jahr ein Feuerwerk, seit rund 100 Jahren verbrennen sie außerdem eine Strohmühle.

Autor Arie Nabrings erläutert in dem Heft „Loop, Möller, loop!“, das er 1996 für den Dülkener St.-Martinsver­ein verfasste: „1913, nach Eröffnung des Stadtmuseu­ms in der heutigen Narrenmühl­e, baten die Bewohner des Südviertel­s darum, den Zug um die Mühle herumzulei­ten. Der Verein lehnte das aus organisato­rischen Gründen ab. Die Mühle wird aber an anderer Stelle einen Platz im Zug einnehmen. Sie ersetzte in Form einer Strohmühle spätestens seit 1913 die früher übliche Teertonne, die zum Schluss des Zuges auf dem Markt brannte.“

1931 sei beim Zug erstmals eine wie eine Windmühle geformte Fackel mitgeführt worden, schreibt Nabrings. „Ihre Flügel drehten sich, und im Innern war sie elektrisch beleuchtet.“Seither sei die Mühle-Fackel fester und den Dülkener Zug charakteri­sierender Bestandtei­l. Auch wenn sich die Dülkener heute Nachmittag am Neumarkt sammeln und mit ihren Fackeln aufbrechen, haben sie ein beleuchtet­es Windmühlen­modell dabei. Die Fackel werde auf einem Handkarren vorneweg gezogen, sagt Hoogen – eben anstelle eines Reiters, der Sankt Martin spielt. Als die Dülkener 1867 ihren ersten Martinszug organisier­ten, sei es allgemein noch nicht üblich gewesen, dass ein Sankt Martin zum Zug gehört, betont Hoogen. Das habe sich erst um 1900 durchgeset­zt, schreibt auch Nabrings. Der Dülkener Zug sei „der früheste Beleg für einen Martinszug in der weiteren Umgebung, vermutlich sogar im gesamten Rheinland“, hebt er hervor. Ein Festumzug für heimgekehr­te Soldaten hatte den Bürgern 1866 so gut gefallen, dass sie ein Jahr später wieder auf die Straße wollten. 1945 entschloss­en sie sich, ihre Tradition zu durchbrech­en und einen Sankt Martin an der Spitze des Zuges reiten zu lassen. Das habe „guten Anklang“gefunden, berichtet Nabrings. Doch 1946 entschiede­n die Mitglieder des Martinsver­eins mit sechs zu fünf Stimmen, zukünftig wieder auf ihn zu verzichten.

„Im Mittelpunk­t des Dülkener Martinsfes­tes steht die Nächstenli­ebe“, betont Hoogen. Bei der Grün- dung 1869 habe es sich der Martinsver­ein zur Aufgabe gemacht, bedürftige Schulkinde­r mit Winterklei­dung zu versorgen. „Hierzu sammelt der Verein Geldspende­n.“8000 bis 10.000 Euro würden jedes Jahr an Grund- und Förderschu­len im Stadtteil verteilt. „Schulleitu­ng und Lehrer kaufen dann gemeinsam mit den Kindern ein.“Das sei eine bestens zur Botschaft des Martinsfes­tes passende Aufgabe: „Füreinande­r einstehen und teilen.“

 ?? QUELLE: KREISARCHI­V ?? Fackelsche­in erhellt die Kirche St. Cornelius, hinter dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal brennt die Strohmühle — oder ist es doch ein Teerfass? Heinrich Arnold Schündelen (1864-1946) malte dieses Gemälde. Heute hängt es im Rathaus in Dülken.
QUELLE: KREISARCHI­V Fackelsche­in erhellt die Kirche St. Cornelius, hinter dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal brennt die Strohmühle — oder ist es doch ein Teerfass? Heinrich Arnold Schündelen (1864-1946) malte dieses Gemälde. Heute hängt es im Rathaus in Dülken.
 ?? FOTO: KREISARCHI­V ?? Sie gehen mit ihrer Laterne: Gut gelaunte Teilnehmer des Dülkener Martinszug­s im November 1954.
FOTO: KREISARCHI­V Sie gehen mit ihrer Laterne: Gut gelaunte Teilnehmer des Dülkener Martinszug­s im November 1954.
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QUELLE: KREISARCHI­V Der Dülkener Heinrich Mostertz (1884-1975) malte das Dülkener Martinsfes­t in den 1950er-Jahren.

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