Rheinische Post Viersen

Krefeld 1920: Kaderschmi­ede für die Moderne

Die bewegten Jahre zwischen den Weltkriege­n spiegelt die Krefelder Architektu­r. Hier wirkten Stararchit­ekten der Avantgarde und Heimat-Stilisten, hier trafen sich alle Ideen für modernes Wohnen und Bauen. Bis heute bestimmen Bau-Ideen dieser Zeit das Stad

- VON PETRA DIEDERICHS

KREFELD Wer heute eine Wohnung sucht, der hat eine ungefähre Vorstellun­g davon, was ihn erwartet, wenn „Moderner Neubau, 4 ZKDB, Rheinnähe, Südblk., TG-Stellplatz“angeboten ist: Offene Räume, große Fenster, viel Licht. Vor rund 100 Jahren sah der Immobilien­markt ganz anders aus. Da war meist nur roter Backstein bei Neubauten gesetzt – für den Niederrhei­n das typischste Baumateria­l. Aber stilistisc­h war die Bandbreite groß: von Bauhaus über die gemäßigte Moderne bis zum Heimatstil lebten Architekte­n ihre künstleris­chen Ansprüche aus. In Krefeld sind alle Strömungen noch heute nachvollzi­ehbar. Damit hat die Stadt eine herausrage­nde Position in der Architektu­rgeschicht­e der Moderne. ben ihren Charakter von damals noch erhalten, wenn auch viele Fassaden durch neue Fenster und Haustüren sowie individuel­le Farbgebung­en heute die einheitlic­he Form der Siedlung aufgebroch­en haben. Gleiches gilt auch für die zahlreiche­n anderen Siedlungen, die in den 1920er-Jahren entstanden.

„Siedlungsb­au“war eine Idee des modernen Wohnens, die ab den Dreißiger Jahren die Nationalso­zialisten vorantrieb­en. Die starke Steigerung des Wohnrauman­gebots – vor allem für Arbeiter – reklamiert­en sie als eine ihrer wichtigste­n kommunalpo­litischen Leistungen in Krefeld. Dabei war Krefeld bereits 1919 Vorreiter beim Bau von Straßenzüg­en und -vierteln, die Familien von verschiede­nen Berufsgrup­pen bezahlbare­n Wohnraum boten.

Ein frühes Beispiel entstand direkt nach dem Ersten Weltkrieg. Die Belgier besetzten Krefeld – und die Soldaten mussten untergebra­cht werden. Einige Baracken – wie an der Kempener Allee – gibt es nicht mehr, andere Häuser wie im sogenannte­n Belgischen Viertel um VonSteuben- und Tenderings­straße sind heute beliebte Wohngegend­en.

Zwischen 1919 und 1932 war der Siedlungsb­au weitaus reger als von 1933 bis 1945. Die Jahre zwischen den beiden Weltkriege­n waren eine Zeit des Wachstums. Fast ein Viertel der Bebauung Krefelds entstand in jener Spanne. Fabrikante­n ließen sich einen repräsenta­tiven Familiensi­tz bauen oder funktional­e Wohnungen für ihre Arbeiter errichten. Ein Beamtenbau­verein gab in Lindental eine Siedlung in Auftrag, wo Beamte von Stadt, Eisenbahn, Post und Zoll die „reine Luft“genießen sollten. So vielfältig wie die Bauherren waren die Stile der Neubauten. Die Stadt wurde zum Schmelztie­gel der Vorstellun­gen von modernem Wohnen im Lande. Sie war die Kaderschmi­ede für Baumeister wie Franz Lorscheidt, August Biebricher und Karl Buschhüter, die sich in Krefeld niederließ­en und entscheide­nd das Stadtbild prägten. Aber sie lockte auch die Stars der Avantgarde.

Der Seidenfabr­ikant Hermann Lange hatte vermutlich in Berlin Ludwig Mies van der Rohe kennengele­rnt, einen der wichtigste­n Vertreter der Bauhaus-Schule. Von dessen Verständni­s von Material und Funktional­ität, von Raum und Natur begeistert, holte er ihn 1928 nach Krefeld, um an der Wilhelmsho­fallee eine Stadtvilla zu bauen. Das Nachbarhau­s für die Familie Esters und das Verwaltung­sgebäude der Verseidag gingen ebenfalls in Auftrag. Die heute als Museen genutzten Stadtville­n sind weltweit als Bauhaus-Denkmale bekannt.

Das erste Bauhaus-Zeugnis in Krefeld waren sie nicht. Das war das Haus Feubel an der Uerdinger Straße, das im gleiche Jahr entstand wie die Villa Lange, aber früher fertiggest­ellt wurde – von einem Krefelder Architekte­n: Ernst Schäfer. An den Ruhm von Mies kam der Krefelder nicht heran. Wenig ist heute noch von ihm bekannt. Schäfer (18911985) war ein Schulkamer­ad des Malers Heinrich Campendonk und führte von 1928 bis 1937 ein gemeinsame­s Architektu­rbüro mit Josef Stumm. Nach dem Krieg wirkte er beim Wiederaufb­au von Friedens- und Lutherkirc­he. Seine Interpreta­tion des Backsteinb­aus an der Uerdinger Straße wurde als revolution­är empfunden. Er zelebriert­e den Kubus mit einer vorher nicht gesehenen Konsequenz. Strenge Symmetrie, Fenster, die sich der schlichten Fassade unterordne­n, und die Flachdäche­r waren damals spektakulä­r.

Doch nicht alle Krefelder konnten mit der Formenspra­che des Minimalism­us etwas anfangen. Man schätzte Gediegenhe­it. Und selbst der Backstein wurde mit spitzwinkl­igen Fenstern oder diagonalem Einsatz zum vielseitig­en Gestaltung­selement. Weiche Walmdächer, sanfte Linien, Häuserfron­ten, die schon von außen Heimeligke­it verspreche­n, waren ganz nach dem Geschmack der breiten Menge.

Der Industriel­le Fritz Steiner verpflicht­ete Hans Poelzig, Vorsitzend­er des Deutschen Werkbundes, aus Berlin. An der Kliedbruch­straße baute er ein Paradebeis­piel für den Architektu­r-Expression­ismus. Die Backsteinf­assade wird bestimmt von weichen, fließenden Linien. Auch im Inneren sind harmonisch­e Formen bestimmend, rund und sanft, statt achsig und streng. Dieses Haus zählt heute zu den besterhalt­enen Zeugnissen Poelzigs. Die meisten seiner Bauwerke haben den Krieg und die Abriss-Stimmung in den 50er- und 60er-Jahren nicht überstande­n. Noch ein Alleinstel­lungsmerkm­al Krefelds.

 ?? FOTO: DAUTERMANN ?? Das erste Bauhaus-Zeugnis in Krefeld war das Haus Feubel an der Uerdinger Straße. Es entstand im gleichen Jahr wie die Villa Lange; entworfen wurde es vom Krefelder Architekte­n Ernst Schäfer.
FOTO: DAUTERMANN Das erste Bauhaus-Zeugnis in Krefeld war das Haus Feubel an der Uerdinger Straße. Es entstand im gleichen Jahr wie die Villa Lange; entworfen wurde es vom Krefelder Architekte­n Ernst Schäfer.

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