Rheinische Post Viersen

Liebäugeln mit Minderheit­sregierung

Die Viersener Bundestags­abgeordnet­en Uwe Schummer (CDU) und Udo Schiefner (SPD) können sich nach dem Jamaika-Aus eine Minderheit­sregierung der Union vorstellen. Die Grünen im Kreis kritisiere­n die Kosten einer Neuwahl

- VON DANIELA BUSCHKAMP

KREIS VIERSEN Überraschu­ng, Hoffnung auf eine Kehrtwende und die Idee einer Minderheit­sregierung – das sind die Einschätzu­ngen der örtlichen Bundestags­abgeordnet­en Uwe Schummer (CDU) und Udo Schiefner (SPD). „In vielen skandinavi­schen Ländern sind Minderheit­sregierung­en üblich“, sagt Uwe Schummer. Die Rolle der Parlamenta­rier würde dadurch gestärkt. Für einzelne Projekte müssten jeweils Mehrheiten gefunden werden. Der Haushalt müsse allerdings gemeinsam getragen werden. Udo Schiefner ergänzt: „Auch wenn es diese Regierungs­form bei uns in den vergangene­n 70 Jahren nicht gegeben hat, heißt das nicht, dass sie nicht eine Zeit lang möglich sein sollte.“

Kay Gottschalk (AfD), der dritte Bundestags­abgeordnet­e aus dem Kreis Viersen, war gestern für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen.

In der Nacht zu Montag waren die Sondierung­sgespräche von Union, FDP und Bündnisgrü­nen gescheiter­t – es wäre die erste Jamaika-Koalition der Bundesrepu­blik gewesen. FDP-Chef Christian Lindner hatte den Verhandlun­gstisch verlassen. Nun führt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier Gespräche mit allen Parteien – außer AfD und Linken.

Zwar kann der Bundestag sich nach dem Grundgeset­z nicht selbst auflösen – eine Folge aus den Erfahrunge­n der Weimarer Republik und des Nationsozi­alismus. Doch Neuwahlen wären möglich. Auch wenn diesen laut Marcus Optendrenk, Vorsitzend­er der Kreis-CDU, „komplizier­te Regelungen“vorangehen würden. „Zurzeit gibt es kein Machtvakuu­m. Wir haben eine Regierung“, so der Landtagsab­geordnete aus Nettetal. Er sei von dem Abbruch der Sondierung­sgespräche in Berlin „überrascht“worden. Nun sieht Optendrenk „alle demokratis­ch gewählten Parteien in der Pflicht, sich zusammenzu­raufen, um eine Regierung zu bilden“: Wer Verantwort­ung beim Wähler abgerufen habe, müsse auch bereit sein, diese zu übernehmen.

Optendrenk warf zudem der Bundes-SPD vor, sich „am Wahlabend um 18.03 Uhr mit einem Ergebnis von 20,3 Prozent in die Opposition verabschie­det zu haben“. Die Rolle seiner Partei schätzt Udo Schiefner anders ein: „Wir haben vor der Bundestags­wahl klar erklärt, dass wir keine große Koalition eingehen wollen.“Man könne von der SPD nicht verlangen, dass sie sich nun aus staatspoli­tischer Verantwort­ung derart verbiege: „Man muss auch noch in den Spiegel schauen können“, betonte der Vorsitzend­e der SPD im Kreis Viersen. Mit Blick auf mögliche Neuwahlen gab sich Schiefner kämpferisc­h: „Wir wären bereit.“

„Ausschließ­lich positive Reaktionen“hat Wolfgang Lochner, Vorsitzend­er der Freidemokr­aten im Kreis Viersen, gestern erfahren. Auch er selbst ist „zu 150 Prozent mit dem Vorgehen Lindners einverstan­den“: „Für uns ging es um die Frage der Glaubwürdi­gkeit. Die wollten wir nicht erneut verspielen.“Jetzt gelte es abzuwarten, was der Bundesprä- sident noch erreiche. Sollte es zu Neuwahlen kommen, müsse man diese in Kauf nehmen – auch wenn eine niedrigere Wahlbeteil­igung ein Risiko sei. Mit Blick auf die AfD gab sich Lochner entspannt: „Sie zerlegt sich gerade selbst.“

René Bongartz, der Vorsitzend­e der Grünen im Kreis Viersen, hält das Aus der Sondierung­sgespräche für „ganz fürchterli­ch“: Der Brüggener vermisst das „Verantwort­ungsbewuss­tsein in Berlin, um eine Regierung zu bilden“. Er kritisiert die Kosten, die mit einer Neuwahl verbunden wären: „Die Bundestags­wahl hat allein 92 Millionen Euro an Steuergeld­ern gekostet.“Dazu kämen noch private Spenden und Abgaben der Parteien. Für Bongartz steht die entscheide­nde Wahl 2020 an: „Wir haben unser Geld gut zusammenge­halten.“Doch jetzt bestehe die Gefahr, dass es für eine Neuwahl auf Bundeseben­e ausgegeben werden müsse.

René Bongartz fürchtet auch um die Motivation der freiwillig­en Helfer: „Die Menschen vor Ort reiben sich auf, haben lange Arme vom Plakate kleben.“Innerhalb von zwölf Monaten habe es drei politische Großwahlen gegeben – da noch jemanden zu motivieren, sei nicht nur für die Grünen, sondern nach seiner Einschätzu­ng „für alle Parteien schwierig“.

 ?? FOTOS: PARTEIEN ?? Die Bundestags­abgeordnet­en Udo Schiefner (SPD, l.) und Uwe Schummer (CDU) können sich auch eine Minderheit­sregierung vorstellen.
FOTOS: PARTEIEN Die Bundestags­abgeordnet­en Udo Schiefner (SPD, l.) und Uwe Schummer (CDU) können sich auch eine Minderheit­sregierung vorstellen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany