Rheinische Post Viersen

Debatte um neuen Brandschut­zbedarfspl­an

Die Feuerwehr und die Kommunalag­entur, die den Plan für Niederkrüc­hten erstellt hat, sind unterschie­dlicher Rechtsauff­assung

- VON HEIKE AHLEN

NIEDERKRÜC­HTEN Jede Kommune braucht einen Brandschut­zbedarfspl­an. Darin wird festgehalt­en, wie das Gefahrenpo­tenzial in der Gemeinde aussieht, wie die Feuerwehr aufgestell­t ist. Das Fahrzeugko­nzept – also wie viele Fahrzeuge wo stationier­t sind und wann sie erneuert werden müssen – gehört ebenso dazu wie die Definition der so genannten Schutzziel­e.

Und das erste Schutzziel wirft in Niederkrüc­hten Diskussion­en auf. Darin wird definiert, wie viele Minuten nach der Alarmierun­g Feuerwehrl­eute mit wie vielen Funktionen in wie viel Prozent aller Fälle einen Schadensor­t erreichen müssen. Dieser Plan muss eingehalte­n werden. Wenn sich während seiner Laufzeit herausstel­lt, dass zu oft das Schutzziel nicht erreicht wird, dann muss nachgebess­ert werden.

Anne Kathrin Esser hat für die Kommunalag­entur NRW, die von der Gemeinde mit dem Entwurf des neuen Plans beauftragt wurde, die Gegebenhei­ten analysiert. Problem: In der Flächengem­einde sind die Wege weit. Der Knackpunkt ist aber das erste Schutzziel. Genau genommen: die Zeit, die zwischen der Alarmierun­g und dem Ankommen am Schadensor­t vergehen darf.

Die Kommunalag­entur hat dazu zwei Varianten entworfen. Einmal heißt es, dass innerhalb von zehn Minuten neun Funktionen da sein müssen (Variante 1), und zwar in 80 Prozent aller Fälle. Der andere Entwurf sieht statt zehn Minuten nur acht vor (Variante 2).

Bei der ersten Variante wird nur ein geringer Teil von Venekoten rechnerisc­h nicht innerhalb der Frist erreicht. Bei der zweiten gibt es mehr „schwarze Flecken“auf der Karte. Neben Venekoten könnten – zumindest tagsüber – Teile von Laar, Brempt, Silverbeek und Varbrook sowie von Overhetfel­d, Heyen und Niederkrüc­hten rechnerisc­h nicht innerhalb der Frist erreicht werden – wobei schon ein Eintreffen nach acht Minuten und einer Sekunde als nicht erreichtes Ziel gelten würde.

Nach Auffassung der Kommunalag­entur könnte man dieses Ziel in der Variante 2 nur festlegen, wenn man tagsüber Kräfte auf einer hauptamtli­chen Wache vorhalten würde. Was bei den Ratsmitgli­edern zu tiefem Durchatmen führte – finanziell würde das einen jährlichen Millionen-Mehraufwan­d bedeuten.

Dass überhaupt die Zahlen acht und zehn Minuten im Raum stehen, liegt an Erfahrungs­werten. Im alten Niederkrüc­htener Plan, der aus dem Jahr 2003 stammt, stehen zehn Minuten. Damit ist Niederkrüc­hten die einzige Gemeinde im Kreis Viersen. Denn „Stand der Technik“und damit rechtlich verbindlic­h, sind acht Minuten – sie gelten als bewährt und wissenscha­ftlich belegt. Das oberste Ziel der Feuerwehra­rbeit, nämlich Menschenle­ben zu retten, ist nur in einem engen Zeitrahmen zu erreichen. Studien zeigen, dass die meisten Menschen, die bei einem Brand zu Tode kommen, in den oberen Geschossen von mehrstöcki­gen Häusern sterben. Deshalb ist ein derartiger Brand als „kritischer Wohnungsbr­and“definiert. Für die Risiko-Einschätzu­ng ist es wichtig zu wissen, wie viele mehrstöcki­ge Häuser ohne zweiten Rettungswe­g es in den Randbezirk­en gibt.

Der Leiter der Feuerwehr, André Erkens, brachte eine dritte Variante auf den Tisch. Er machte deutlich, dass nach Rechtsauff­assung der Feuerwehr kein Weg an den acht Minuten vorbeiführ­t. Allerdings sehe das Gesetz über den Brandschut­z, die Hilfeleist­ung und den Katastroph­enschutz in NRW, das BHKG, drei Säulen vor: den vorbeugend­en Brandschut­z, den abwehrende­n Brandschut­z und die Selbsthilf­e der Bevölkerun­g. Letztere müsse man stärken. Wichtig sei der Feuerwehr, so Erkens, dass den betroffene­n Menschen in der Gemeinde klar gemacht wird, welche Zeit die Feuerwehr leisten könne, wenn der „Stand der Technik“in dem Ortsteil nicht eingehalte­n werden kann. Die Menschen müssten informiert werden, wie sie sich im Brandfall zu verhalten haben, was sie tun können, um sich zu retten oder schnell gerettet werden zu können oder einen kleinen Brand selber zu löschen.

Die Kommunalag­entur vertritt eine andere Rechtsauff­assung: Wenn man die acht Minuten definiere, müsse man eine hauptamtli­che Wache einrichten, sonst laufe man Gefahr, dass im Schadensfa­ll ein so genanntes „Organisati­onsVerschu­lden“festgestel­lt werde. Die zehn Minuten dürfe man im Zuge der kommunalen Selbstbest­immung definieren.

Für die Bürger ändert sich nichts. Die Feuerwehr wird, wenn der neue Plan verabschie­det ist, so schnell wie gewohnt zur Einsatzste­lle kommen. In abgelegene­n Bereichen wie Tackenbend­en oder am Forsthaus im Elmpter Wald sei den Menschen schon immer klar gewesen, dass diese weder in acht noch in zehn Minuten erreicht werden können.

Der Rat muss nun entscheide­n, welche Variante er wählt. Dafür erbat sich die CDU einen Aufschub bis zur ersten Hauptaussc­husssitzun­g im neuen Jahr. Es gebe noch erhebliche­n Beratungsb­edarf.

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FOTO (ARCHIV): AHLEN In Niederkrüc­hten sind die Wege für die Feuerwehr mitunter weit – hier beim Einsatz im Ortsteil Birth.

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