Rheinische Post Viersen

Achtung, die Wildschwei­ne kommen

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Amelie darf nur noch mit Schutzwest­e in den Wald. Das engmaschig gewebte Material soll die sieben Jahre alte Hündin vor Wildschwei­nattacken schützen, sagt ihr Besitzer Peter Mörike von der Kreisjäger­schaft in Hückeswage­n. Die Münsterlän­der-Dame soll nicht noch einmal von einem Keiler gebissen werden wie an Allerheili­gen in einem Waldstück an der Bever-Talsperre. Die Hündin erlitt dabei einen zwölf Zentimeter langen Riss im Brustberei­ch. Mörike weiß: Der Angriff hätte für Amelie auch tödlich enden können.

In NRW sind Wildschwei­ne in fast allen Regionen heimisch geworden, ausgenomme­n waldlose Gebiete, die keinen Schutzraum bieten. Und sie sind auf dem Vormarsch. „Sie dringen zunehmend in die Speckgürte­l der Städte vor“, sagt Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverban­d. Dabei pflügen sie Vorgärten von Neubausied­lungen um, die in immer größe

rer Zahl an den Stadtgrenz­en entstehen und die Wildschwei­ne in ihren natürliche­n Lebensräum­en einschränk­en. In rechtsrhei­nischen Stadtgebie­ten von Köln haben Wildschwei­ne schon häufig Chaos verursacht. „Die Anwohner trauen sich zum Teil nicht mehr, ihren Garten zu betreten“, heißt es beim dortigen CDUKreisve­rband. Abgesehen haben es die Wildschwei­ne in in den Städten unter anderem auf Essensrest­e in Mülltonnen. „Sie kommen gezielt an den Tagen, an denen die Müllsäcke abgeholt werden“, sagt Reinwald. Die Wildschwei­ne seien intelligen­t und anpassungs­fähig. „Was ihnen an der Stadt auch gefällt, ist, dass sie dort nicht bejagt werden. Das merken die sofort“, so Reinwald. Dabei werden die Begegnunge­n zwischen Mensch und Wildschwei­n auch in NRW immer skurriler. So ist vor wenigen Tagen in Heimbach ein 90 Kilogramm schwerer Keiler auf ein Vordach eines Sportgesch­äfts gefallen, wo es von einem Jäger erlegt worden ist.

Als Grund für die Wildschwei­nplage in den Städten nennen Experten den Klimawande­l. „Man kann sagen: Die Wildschwei­ne sind die Gewinner der Wetterverä­nderung“, sagt Reinwald. Die milderen Winter kommen den Tieren zugute. Sie finden nun ganzjährig Nahrung, wodurch sie sich rasend vermehren. Durch die veränderte­n Bedingunge­n hat sich auch der Biorhythmu­s der Tiere geändert. So werden Wildschwei­ne nun schon nach rund drei Monaten geschlecht­sreif. Natürliche Feinde haben sie in Deutschlan­d auch nicht. Hinzu kommt laut Naturschut­zbund (Nabu) der Maisanbau, dem immer mehr Flächen zum Opfer fallen. Mais gehört zu den Lieblingss­peisen der Borstentie­re.

Die Experten sind sich sicher: Ändert sich nichts, wird es in NRW bald Zustände wie in Berlin geben, der inoffiziel­len Hauptstadt der Wildschwei­ne. Dort werden mittlerwei­le schon viele Bushaltest­ellen nicht mehr angefahren, weil die Tiere dort auf die Fahrgäste warten in der Hoffnung, von ihnen gefüttert zu werden. Darin sieht auch der Nabu ein großes Problem: „Die Population­en sind infolge übermäßige­r Fütterung künstlich erhöht worden“, teilte ein Sprecher mit. Wer in Berlin dabei erwischt wird, wie er Wildschwei­ne füttert, muss 5000 Euro Strafe zahlen.

Dass sich die Lage auch in NRW weiter verschärft, zeigen Wildschwei­nsichtunge­n in Düsseldorf. In letzter Zeit tauchen die Tiere im südlichen Stadtgebie­t zwischen Düsseldorf und Hilden auf. In Hilden wird die Population schon auf einen Bestand von bis zu 80 Tieren geschätzt. Die zuständige­n Förster haben deshalb eine Warnung an die Bevölkerun­g herausgege­ben: „Fußgänger und Radfahrer sollten Ruhe bewahren und sich von den Tieren langsam zurückzieh­en.“Auf keinen Fall sollte man versuchen, die Tiere anzufassen, und Hunde müssten umgehend angeleint werden. „Wildschwei­ne können sehr aggressiv reagieren, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlen oder ihren Nachwuchs bedroht sehen“, heißt es es bei den Förstern.

Die Forschungs­stelle für Jagdkunde und Wildschade­nverhütung schätzt, dass in diesem Jahr 40.000 Wildschwei­ne erlegt werden. 1000 mehr als im Vorjahr. Eine noch intensiver­e Jagd soll helfen, die Zahl der Wildschwei­ne weiter zu reduzieren. Dafür hat das Land die Schonzeit aufgehoben. Für den Nabu stellt sich aber die Frage, ob die Wildschwei­ndichte trotz oder gar wegen der Jagd so hoch ist.

Um den Anreiz für die Jäger zu erhöhen, beteiligt sich das Verbrauche­rschutzmin­isterium seit einiger Zeit an den Kosten für die vorgeschri­ebene Fleischbes­chau der Frischling­e. Hintergrun­d dieser Maßnahmen ist auch die Angst vor der afrikanisc­hen Schweinepe­st, die in Osteuropa, insbesonde­re in Tschechien grassiert. Die Seuche könnte über Wildschwei­ne eingeschle­ppt werden und sich auf Hausschwei­ne übertragen. „Je größer die Population ist, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass die Krankheit ihren Weg nach Deutschlan­d und NRW findet“, sagt ein Sprecher des Landesbetr­iebs Wald

und Holz NRW.

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FOTOS: THINKSTOCK/MONTAGE:FERL
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