Rheinische Post Viersen

Geeint gegen die FDP

Nach dem Jamaika-Aus schießen sich die Grünen auf ihrem Bundespart­eitag auf einen neuen Gegner ein.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Cem Özdemir ist eigentlich ein Parteichef auf Abruf. Immer wieder hat er erklärt, im kommenden Jahr nicht nochmals als Parteivors­itzender anzutreten, auch in den vergangene­n Tagen. Doch auf dem Berliner Grünen-Bundespart­eitag am Samstag ist es Özdemir, der den Delegierte­n nach der Enttäuschu­ng über die gescheiter­ten Jamaika-Sondierung­en Mut für die Zukunft macht: „Sonntag ist nicht alle Tage, auf die Grünen in Deutschlan­d kann man zählen, keine Frage!“, schließt er seine Rede.

Die vierwöchig­en Sondierung­en mit Union und FDP haben die Grünen zusammenge­schweißt. Gemeinsam sind sie zugleich enttäuscht und frustriert über das Scheitern von Jamaika, gemeinsam empören sie sich über den Egoismus der FDP, die das Bündnis plat- zen ließ. Während der Sondierung­sphase ließen sich Parteilink­e und Realo-Politiker nicht durch Provokatio­nen auseinande­rdividiere­n. Und auf dem Parteitag sind die Kritiker, die zu viele Zugeständn­isse an Union und FDP vor allem in der Flüchtling­spolitik anprangern, klar in der Minderheit.

Nun wollen die Grünen diese neue Einigkeit in die Zukunft retten – am liebsten in einer schwarz-grünen Minderheit­sregierung. Mit großer Mehrheit beschließe­n sie, weiterhin auch für eine Minderheit­sregierung mit der Union offen zu sein. Das wirkt fast verzweifel­t, doch immerhin untermauer­n die Grünen damit ihre neue Beweglichk­eit und ihren Machtwille­n. Dass es tatsächlic­h zu einer Minderheit­sregierung kommt, glauben allerdings die wenigsten. Die Kanzlerin ist dagegen und die SPD würde, wenn überhaupt, nur eine CDU/CSU-Alleinre- gierung tolerieren. Vier weitere Jahre Opposition warten also auf die Öko-Partei, die nächste große Koalition liegt in der Luft.

Den Grünen bleibt in dieser Lage nur, sich selbst zu trösten. Mit einer pompösen Bühnen-Zeremonie feiern sie ihr 14-köpfiges Sondierung­steam für die gescheiter­te JamaikaExp­edition. Ex-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt macht deutlich, dass sie die Fraktion auch in der Zukunft anführen will. Özdemir steht zunächst schweigend daneben. Seine persönlich­e Zukunft ist ungewiss. Dass er den Weg für einen Nachfolger wie angekündig­t freimacht, ist noch nicht sicher. Denn hinter den Kulissen wird Özdemir von Parteifreu­nden bearbeitet: Viele wollen ihn weiterhin an der Spitze sehen. Und noch hält sich der Nachfolger-Kandidat mit den größten Chancen bedeckt. Schleswig-Hol- steins charismati­scher Vize-Regierungs­chef Robert Habeck wartet ab und sagt lieber noch nicht, ob er zur Verfügung steht. Mit verfrühten Personalfr­agen solle man sich jetzt noch nicht belasten, sagt er.

Özdemir reißt den Parteitag dann doch wieder an sich. Noch ist es seine Bühne. Klar ist, wen er als Gegner Nummer eins nach der AfD ausgemacht hat: die FDP. „Für uns gilt nicht die Parole: erst die Partei, dann das Land. Bei uns heißt es umgekehrt: Erst das Land, dann die Partei!“, gibt Özdemir den Ton vor. Die Grünen hätten Verantwort­ung gezeigt, die FDP nicht. Im Bundestag sei seine Partei die „letzte Bastion“für Humanität und Weltoffenh­eit. Die nächsten vier Jahre wird Özdemir wohl als einfacher Bundestags­abgeordnet­er auf der Opposition­sbank verbringen – es sei denn, er überlegt es sich doch noch anders und bleibt Parteichef.

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FOTO: DPA Bleibt er? Viele in der Partei wollen Cem Özdemir weiterhin an der Grünen-Spitze sehen.

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