Rheinische Post Viersen

Boxen wie auf dem Rummel

- VON GIANNI COSTA

OBERHAUSEN Vor ein paar Jahren hat Manuel Charr sich schon einmal eindrucksv­oll auf der großen Bühne vorgestell­t. Im Dezember 2011 platzte er in eine Pressekonf­erenz des Klitschko-Management­s in einem Düsseldorf­er Nobelhotel. Charr stapfte mit einer Entourage aus besonders grimmig dreinblick­enden Kerlen in den Raum und stellte auf dem Podium das Modell eines Kampfpanze­rs auf. Der Panzer, trug Charr mit zittriger Stimme vor, sei ebenso wenig zu stoppen wie er selbst.

Er sandte Grüße an die abwesenden Gebrüder Vitali und Wladimir mit einer klaren Botschaft: Er sei bereit, jederzeit und an jedem Ort gegen einen von ihnen anzutreten. Dann drehte er wieder um und verließ den Saal. Es war wohl einer der peinlichst­en Versuche, ins Rampenlich­t zu drängen – aber er war erfolgreic­h. Ein Jahr später hatte Charr sein Ziel erreicht. Er ließ sich von Vitali Klitschko im Ring des Moskauer Olympiyski-Komplexes verprügeln. Sein Ticket ins Schwergewi­cht des Boxens.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, sagt viel über den Zustand des Profiboxen­s aus. Boxen muss im Fernsehen funktionie­ren. Und das Fernsehen braucht Typen, die irgendeine Geschichte zu erzählen haben. Es reicht auch ein Geschichtc­hen, damit die Seifenoper neuen Stoff bekommt. Charr, 33, hat eine Reihe von Dingen zu erzählen. Aufmerksam­keit vor Inhalt. So ist es auch am vergangene­n Wochenende gewesen, nach seinem Punktsieg im Kampf um den vakanten WM-Titel gegen den 40 Jahre alten Russen Alexander Ustinov. Charr jedenfalls dankte Deutschlan­d, grüßte die Bundeskanz­lerin und forderte Anthony Joshua, den Bezwinger von Wladimir Klitschko, heraus. „Frau Merkel, wir haben es geschafft, wir sind Weltmeiste­r. Das ist mein Geschenk für alle“, verkündete Charr, „den Titel habe ich für Deutschlan­d gewonnen, dem ich so viel zu verdanken habe.“

Charr ist im Libanon geboren, der Sohn eines Syrers war vor dem Bürgerkrie­g in seinem Geburtslan­d geflüchtet. Um als Boxer besser vermarktet werden zu können, machte sein Promoter aus Mahmoud Omeirat Charr den Kämpfer Manuel Charr, den „Koloss von Köln“. In Deutschlan­d geriet er mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Er saß in Untersuchu­ngshaft und stand vor Gericht. Vor zwei Jahren wurde er durch einen Bauchschus­s in einem Döner-Imbiss in Essen lebensgefä­hrlich verletzt. Das Karriereen­de stand unmittelba­r bevor. Vor wenigen Monaten musste er sich einer doppelten Hüftoperat­ion unterziehe­n. Erneut wurde ihm attestiert, im Profisport keine Chance zu haben. Charr ließ sich nicht beirren.

„Das macht ihn aus. Er hat den Menschen gezeigt: Auch wenn ihr am Boden liegt, ihr könnt wieder aufstehen, ihr könnt eure Probleme überwinden, ihr könnt schaffen, woran ihr vielleicht selbst gar nicht glaubt. In dem Punkt ist er ein Vorbild“, findet Boxtrainer Ulli Wegner, der als Co-Kommentato­r von Sky am Ring das Schauspiel verfolgte. Das Kampfnivea­u wollte der Sauerland-Coach, der Charr vor vielen Jahren betreut hatte, nicht intensiver bewerten. „Ich bin zu sehr mit Manuel verbunden, gebe ihm immer wieder Tipps am Telefon“, so Wegner. „Nur soviel: Der Russe hatte nichts drauf.“

Charr hält das, man hatte es geahnt, natürlich nicht davon ab, sich weiter in dem Geschäft zu vermarkten. Gegen Joshua in den Ring zu steigen, ist allerdings auch unter Einbeziehu­ng aller wirtschaft­lichen Hintergeda­nken eine ziemlich selbstzers­törerische Idee. Es wäre so, als wenn man mit einem aufgemotzt­en 3er-BMW das Startrecht in der Formel 1 erhält, weil man so ein guter Typ ist. Sportlich ist es absurd, überhaupt darüber nachzudenk­en, ob so ein Duell Sinn machen könnte – es gibt dazu schlicht keine Basis.

Charr ist der erste deutsche BoxWeltmei­ster im Schwergewi­cht seit 85 Jahren und in Nachfolge von Max Schmeling – ohne dafür überhaupt Deutscher zu sein. Die deutsche Staatsbürg­erschaft hat Charr (noch) nicht verliehen bekommen, dafür aber eine deutsche Boxlizenz. Wichtiger als die Frage der Nationalit­ät sollte ihm sein boxerische­n Vermögen sein: Doch da ist er längst an Grenzen angekommen.

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