Rheinische Post Viersen

Erkältet ist Herr Brandauer am besten

Der Schauspiel­er rezitierte den „Sommernach­tstraum“in der Düsseldorf­er Tonhalle.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DÜSSELDORF Eigentlich hat der große Schauspiel­er Klaus Maria Brandauer eine eigene Textfassun­g aus Shakespear­es „Ein Sommernach­tstraum“entwickelt, die er in der Tonhalle zu Felix Mendelssoh­n Bartholdys Schauspiel­musik op. 61 sprechen, singen, spielen will. Die ersten Worte sind an diesem Abend allerdings nicht von Shakespear­e, sondern von ihm selbst: „Was haben wir für einen Monat?“, fragt er das verdutzte Publikum – und zeigt auf seinen Hals. Langsam dämmert es den Menschen in der nicht ganz ausverkauf­ten Halle: Brandauer ist schwer erkältet.

Doch der 74-Jährige ist zäh. Obwohl ihn die Erkältung schon vor ein paar Tagen erwischt hat, hat er sich entschloss­en, alle Tournee-Termine mit seinem Freund Enoch zu Guttenberg (dem Vater des CSU-Politikers Karl-Theodor) und dem Orchester der Klangverwa­ltung zu absolviere­n. So sitzt er also leicht zusammenge­sunken auf einem Stuhl vor dem Klangkörpe­r, zu dem auch der Frauenchor der Chorgemein­schaft Neubeuern und die Gesangssol­istinnen Susanne Bernhard (Sopran) und Julia Faylenboge­n (Mez- zosopran) gehören, und lauscht mit geöffnetem Mund. Die Nase ist wohl zugeschwol­len.

Enoch zu Guttenberg führt sein agiles Orchester mit dem gleichen Schwung durch Mendelssoh­ns „Sommernach­tstraum“-Ouvertüre, mit dem er vorher Beethovens achte Sinfonie F-Dur angeleitet hat. Sein Stil ist engagiert und zupackend, aber eher nicht fließend, sondern kantig. Er lässt die Musiker vor al- lem die humorvolle­n Akzente überbetone­n, mit denen die Sinfonie, die der Komponist Beethoven angeblich selbst als die „kleine F-Dur“bezeichnet hat, gut ausgestatt­et ist: Nicht nur, dass ihr ein langsamer Satz gänzlich fehlt – das Allegretto scherzando trägt den Scherz schon im Titel und wirkt wie eine MozartSati­re, und das Tempo di Menuetto überbetont die Formvorgab­en klassische­r Tänze.

Das Publikum tut gut daran, die Leistung des Orchesters schon vor der Pause stark zu würdigen – Mendelssoh­ns Schauspiel­musik gerät in der Klaus-Maria-Brandauer-Show nämlich in den Hintergrun­d. Er nutzt die Chance, nicht nur Shakespear­e zu sprechen, sondern auch einen erkälteten Schauspiel­er zu mimen, der um Stimme ringt. Das Kreischen, Schnattern, Streiten, Zärteln und Turteln der Figuren klingt so zwar bedeckt und belegt, aber trotzdem toll.

Die große Komödie nimmt spätestens ihren Lauf, wenn Brandauer das Lied des zum Esel verwandelt­en Zettel anstimmt und sein heiseres Krächzen ganz von selbst zum I-Aah tendiert. Den berühmten Hochzeitsm­arsch, bei dem Teile des Publikums mitschunke­ln, kommentier­t er vermeintli­ch missmutig mit einem galligen: „Schön. Sehr schön.“Und als das Publikum über einen Huster lachte, mahnt er gestreng: „Das war das erste Mal! Nach einer Stunde!“

Der tosende Schlussapp­laus lässt eine Vermutung aufkommen: Vielleicht war der fiese Schnupfen in Wirklichke­it ein großes Glück für den Schauspiel­er und sein Publikum.

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FOTO: SUSANNE DIESNER Klaus Maria Brandauer rezitierte, Enoch zu Guttenberg dirigierte den „Sommernach­tstraum“von Shakespear­e und Mendelssoh­n.

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