Ginter zum Glück gezwungen
Borussias Innenverteidiger musste beim 2:1 gegen den FC Bayern erneut als Sechser aushelfen – und traf zum 2:0.
Christoph Kramer dürfte kein Veto einlegen: Diesen Laufweg in der 44. Minute hätte Borussias ChefSechser wohl kaum gemacht. Auch Matthias Ginter musste ein wenig zu seinem Glück gezwungen werden, nicht in dieser Szene, sondern in der Anfangsphase, nachdem Kramer verletzt vom Platz getragen worden war. „Ich bin noch mal zum Trainer und habe gefragt, ob es wirklich sein muss“, gab Ginter nach dem 2:1 gegen den FC Bayern zu. Am Erfolg gegen den Rekordmeister hatte er mit seinem Treffer zum 2:0 vor der Pause einen großen Anteil.
So vehement, wie der AushilfsSechser anzeigte, dass er den Ball haben will, sah es nicht aus, als habe ihn irgendjemand gezwungen. Als Thorgan Hazard links zum Dribbling ansetzte, gestikulierte Ginter wild und rannte los. Lars Stindls Mischung aus Schuss und Hereingabe erreichte ihn allein in der Nähe des rechten Pfostens stehend, von wo Ginter es beinahe fertigbrachte, den Ball aus einem halben Meter Entfernung an den linken Pfosten zu schießen. Doch nachdem er einmal kräftig durchgepustet hatte, durfte er sein drittes Saisontor bejubeln. Die dramatischen Bilder von Kramers Knockout, getroffen von Jannik Vestergaard, bis zu seinem Abtransport Richtung Krankenwagen zeigten eine halbe Stunde später sportlich Wirkung. Der Fußball frönt dem Schmetterlingseffekt auf manchmal absurde Weise.
Kramer nähert sich derweil der Marke von drei Jahren ohne Tor. Seit dem 17. Dezember 2014 und dem zwischenzeitlichen 3:1 gegen Werder Bremen hat er es 20-mal probiert, ein einziges Mal aus dem Fünfmeterraum. So viel zur Theorie, dass Kramer den Laufweg gegen die Bayern nicht gemacht hätte. Sein vierter Knockout in dieser Saison und die zweite Auswechslung aus diesem Grund bereiten Dieter Hecking durchaus Sorgen. „Da sind auch die Mediziner gefragt, wie man die Spieler besser schützen kann. Es gibt ja einige Torhüter, die mit Kopfschutz spielen, allerdings muss man sich auch fragen, inwieweit Feldspieler dadurch beeinträchtigt werden“, sagte der Trainer. Generell habe der Verein eine „Fürsorgepflicht, da genau hinzuschauen“.
Das tun sie bei Borussia und sind weit davon entfernt, Kramers chronisches Pech mit Kopfverletzungen in die Folklore-Schublade zu stecken. Leichte Entwarnung gab es gestern. Der 26-Jährige hat genau wie Kollege Tony Jantschke eine Schädelprellung erlitten und steht in den kommenden Tagen unter genauerer Beobachtung.
Jantschke war in der elften Minute für Kramer gekommen und löste drei Positionswechsel aus, die Ginter nicht überrascht haben dürften. Der rückte vor auf die Sechs, Nico Elvedi nahm seine Position in der Innenverteidigung ein und Jantschke ging nach hinten rechts. Nach der Pause musste dann Fabian Johnson diesen Part übernehmen.
„Ich habe Chris Kramer in solchen Spielen ungern nicht dabei. Aber ich fand es klasse, wie die Mannschaft reagiert hat. Matthias Ginter hat erst wieder etwas ungläu- big geguckt“, sagte Hecking. Ginter ist im Sommer von Borussia Dortmund gekommen, um Polyvalenz gegen Monovalenz einzutauschen. Vielseitiger Defensivallrounder will er nur noch im Notfall sein, doch ist der in den vergangenen fünf Wochen schon zweimal eingetreten. Beim 3:1 gegen 1899 Hoffenheim traf der Aushilfs-Sechser Ginter ebenfalls wie ein Mittelstürmer. „Ich bin hergekommen, um eine tragende Rolle zu spielen – und wenn es dann ein Tor ist, mit dem ich das umsetze, dann sehr gern“, sagte er nun. So wählerisch ist der 23-Jährige dann auch wieder nicht.