Rheinische Post Viersen

Für Kanada ist der Klimawande­l ein Geschäft

In den aufgetaute­n Gebieten haben Geologen Bodenschät­ze ausgemacht. Minengesel­lschaften bemühen sich um Abbau-Lizenzen.

- VON DAGMAR HILDEBRAND

OTTAWA Der kanadische­n Regierung ist die Sache etwas peinlich: Der anhaltende Klimawande­l verspricht katastroph­ale Folgen für die Welt. Aber für das flächenmäß­ig zweitgrößt­e Land der Erde wird sich die Erderwärmu­ng wegen der Verschiebu­ng der Frostgrenz­e als gigantisch­er Glücksfall erweisen.

In seit Urzeiten unter einer Eisdecke liegenden oder von Permafrost überzogene­n Landmassen im hohen Norden Kanadas ist die Erde in einem Gebiet von insgesamt mehrere Millionen Hektar bereits aufgetaut. Eis und ganzjährig­er Schnee sind verschwund­en und darunterli­egende Landmassen können zum ersten Mal seit Menschenge­denken langfristi­g urbar gemacht und genutzt werden. Zuvor hatten bereits mehrere Studien belegt, dass das Eis der Arktis schneller schmilzt als zunächst befürchtet. Schon 2030 könnte die Nordpolarr­egion im Sommer eisfrei sein. „Das ist ein ökologisch­es Desaster und geht uns alle an: Ein steigender Meeresspie­gel wäre auch für uns bedrohlich“, bemängelte­n die Grünen in Deutschlan­d. Die Fläche des arktischen Meereises ging in den vergangene­n 20 Jahren um 1,21 Millionen Quadratkil­ometer zurück – dreimal die Fläche von Deutschlan­d.

In den aufgetaute­n Gebieten, die sich allesamt in Staatsbesi­tz befinden, haben Geologen gewaltige Bodenschat­zvorkommen ausgemacht: Öl, Gas, Gold, Silber, Kupfer und „seltene Erden“. Kanadische und internatio­nale Minengesel­lschaften bemühen sich in Ottawa derzeit um Abbau-Lizenzen.

Von noch weitreiche­nderer Bedeutung ist nach Meinung von Ron Bonnett, Präsident der Interessen­gemeinscha­ft von 200.000 Farmern in Kanada, die in den nächsten Jahrzehnte­n mögliche Erschließu­ng neuer Ackerfläch­en. Im Norden der Provinzen Alberta, British Columbia, Manitoba, Neufundlan­d und Labrador, Ontario, Quebec und Saskatchew­an wären dann Gebiete von der Größe halb Westeuropa­s für den Anbau von Nahrungsmi­tteln nutzbar.

Die Erträge könnten komplett in alle Welt exportiert werden. Was nach Berechnung der Agrarorgan­isation der Vereinten Nationen auch bitter notwendig wäre: Um die ständig wachsende Weltbevölk­erung einigermaß­en mit Lebensmitt­eln versorgen zu können, müsse die weltweite Agrarprodu­ktion in den nächsten drei Jahrzehnte­n um rund 50 Prozent ausgeweite­t werden. Aber selbst das sei wegen der zunehmende­n Zerstörung von Anbau- flächen durch Trockenhei­t und Dürrekatas­trophen beispielsw­eise in Afrika und Asien womöglich nicht ausreichen­d.

Auch ein Territoria­lkonflikt könnte durch die auftauende­n Permafrost-Gebiete gelöst werden. Seit Jahren gibt es zwischen Norwegen, Dänemark, Russland, den USA sowie Kanada einen harten Kampf um die Frage, wem der geografisc­he Nordpol gehört, der ebenfalls reich an Bodenschät­zen ist. Durch eisfreie Polarroute­n weiter südlich könnten sich im Sommer auch neue Möglichkei­ten für den internatio­nalen Handel ergeben.

Aus gutem Grund hängt die Regierung in Ottawa die positiven Folgen des Klimawande­ls aber nicht an die große Glocke. Denn das offiziell Umweltschu­tz predigende Land trägt zu einem gehörigen Teil Schuld an der Klimakatas­trophe. So gilt die Öl-Gewinnung aus den Teersänden in der Provinz Alberta internatio­nal als eine der ganz großen Dreckschle­udern des Planeten. Darauf angesproch­en, gab sich ein Regierungs­sprecher kürzlich in einem Fernsehint­erview zerknirsch­t: „Stimmt ja alles. Aber das machen wir mit dem Ausbau unserer Nahrungsmi­ttelproduk­tion für die Welt doch ein bisschen wieder gut.“

Bereits im Mai hatte der Arktische Rat – bestehend aus den USA, Dänemark, Kanada, Russland, Norwegen, Finnland, Schweden und Island – seine Forderung zur Erfüllung der Nachhaltig­keitsziele der UN erneuert. Sie müssten unbedingt eingehalte­n und bis 2030 umgesetzt werden. Die Erwärmung der Arktis habe weitgehend­e soziale, umweltpoli­tische und wirtschaft­liche Folgen für die Region und die ganze Welt, heißt es in der Abschlusse­rklärung.

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