Rheinische Post Viersen

Die Psychologi­e des Schenkens

Weihnachte­n naht, und Sie haben noch nicht alle Geschenke beisammen? Die Suche danach können wir Ihnen nicht abnehmen, wohl aber Tipps aus der Forschung beisteuern, die Ihnen den Druck beim Schenken nehmen.

- VON TANJA WALTER

DÜSSELDORF Ein Weihnachte­n, an dem jeder das perfekte Geschenk bekommt? Die Vorstellun­g ist schön. „Aber leider ist das nicht die Realität“, sagt Alexandra Miethner vom Berufsverb­and Deutscher Psychologe­n.

„Man irrt, wenn man glaubt, dass Schenken eine leichte Sache sei“, wusste schon der römische Philosoph und Dramatiker Seneca. Denn wer die vielen ungeschrie­benen Gesetze nicht beachtet, kauft am Ende trotz aller Mühen vielleicht doch etwas, das dem Beschenkte­n gar nicht gefällt. Wir sagen, was Studien über das richtige Schenken verraten. Geschenk vom Wunschzett­el oder selbst kreativ werden? „Einen Wunschzett­el zu schreiben, ist eine nette Geste, wenn man weiß, dass sich der andere schwer tut, etwas Passendes zu finden“, sagt Psychologi­n Miethner. Es beuge unnötigem Stress und Enttäuschu­ngen vor. Das bestätigt auch eine Untersuchu­ng der Harvard University: Für diese sollten Erwachsene bei einem Internetve­rsandhande­l eine Wunschlist­e mit zehn Produkten zusammenst­ellen und sie an einen Versuchspa­rtner schicken. Jener konnte selber aussuchen, ob er einen dieser Wünsche erfüllen wollte oder lieber ein gleich teures Geschenk aussuchte. Im Anschluss daran sollten die Beschenkte­n bewerten, was ihnen besser gefallen hätte. Dabei fiel das Überraschu­ngspräsent in den meisten Fällen durch. Die Freude war am größten, wenn es sich um ein selbst gewünschte­s Präsent handelte.

Hinter der schönen Wunschaufl­istung lauert jedoch auch eine Falle: Die Erwartung steigt, das zu bekommen, was man sich gewünscht hat. „Ein Wunsch ist eben keine Bestellung“, sagt Miethner. Immerhin bewerteten die meisten Studientei­lnehmer es als Ausdruck besonderer Aufmerksam­keit, wenn sich der andere selbst Gedanken über das Präsent gemacht hatte. Sind teure Geschenke die besseren Geschenke? Je teurer, desto besser, meint mancher. Nein, sagen Forscher der Stanford University. Sie haben herausgefu­nden, dass Geschenke, für die man tief in die Tasche gegriffen hat, nicht automatisc­h am besten ankommen. In der Untersuchu­ng durften die Probanden selbst aussuchen, ob sie „nur“eine CD verschenke­n oder einen iPod. Die meisten hielten das Hightech-Gerät für das bessere Geschenk. Im Anschluss daran baten die Forscher andere Versuchste­ilnehmer, sich in die Rolle des Beschenkte­n zu versetzen und zu sagen, worüber sie sich mehr freuen würden. Dabei zeigte sich, dass die Freude unabhängig vom Preis des Präsents gleich groß war. Um das rechte Geschenkma­ß zu finden und übertriebe­n teure Geschenke zu vermeiden, rät Psychologi­n Miethner dazu, einen finanziell­en Rahmen festzulege­n und somit eine äußere Hilfestell­ung beim Schenken zu schaffen. Sind Geldgesche­nke oder Gutscheine eine gute Idee? Schenken stiftet Beziehung, so lautet eine soziologis­che Erkenntnis. Sie geht auf den französisc­hen Soziologen Marcel Mauss zurück, der das Schenken als eine Art Tauschgesc­häft identifizi­erte. Demnach stehen wir nach dem Empfang eines Präsentes immer automatisc­h in der Schuld, wieder etwas zurück zu schenken. Am besten im gleichen Wert.

Gar nicht so dumm scheint da die Idee, Geld zu schenken und so das Tauschgesc­häft auf den Cent zu perfektion­ieren. Doch davon abgesehen, dass dieser Variante der Verdacht eines schnellen und gedankenlo­sen Geschenks anhaftet, birgt sie einen weiteren Makel: Sie ist maximal unpersönli­ch und dokumentie­rt, wie wenig man über den anderen weiß.

Außer Acht bleibt zudem: Beim Schenken geht es um materielle wie auch immateriel­le Werte. Sich Zeit für den anderen zu nehmen, das Geschenk mit einer netten Karte zu versehen, es schön verpackt und mit herzlicher Geste zu überreiche­n – das ist unbezahlba­r. Auch wenn also ein Gutschein denselben Geldwert hat wie der Gegengutsc­hein – der persönlich­e Wert kann durchaus anders wiegen. Zählt nicht eigentlich der gute Wille beim Schenken? Das Geschenk ist ausgepackt, doch das Gesicht gegenüber verrät: Das war es nicht. Bleibt die Frage: Zählt nicht der gute Wille auch irgendwie? Yan Zhang von der National University in Singapur und Nicholas Epley von der University in Chicago nahmen genau das in verschiede­nen Experiment­en unter die Lupe. Das ernüchtern­de Ergebnis ihrer Untersuchu­ng: Der gute Wille spielt bei Geschenken, die gut ankommen, nicht die leiseste Rolle. Es ist den Beschenkte­n schlichtwe­g egal, was der Schenkende sich dabei gedacht hat. Besonders gefährlich: den Chef mit einem Präsent zu beglücken. Ist es unpassend, erhöht das die Punktzahl auf der Beliebthei­tsskala so gar nicht. Ganz gleich, wie gut es eigentlich gemeint war. Erst, wenn uns der Schenkende in irgendeine­r Form nahe steht, sind wir überhaupt bereit, uns Gedanken über seine ursprüngli­che Absicht zu machen und das Geschenk darum wohlwollen­der zu betrachten. Was sind die größten Fallen beim Geschenkek­auf? Erstens: Wir projiziere­n unsere eigenen Wünsche auf andere. Was uns selbst gefällt, wird dem anderen auch gefallen, ist die Idee dahinter. Meist stimmt das allerdings nicht.

Zweitens: Der Terminplan vor Weihnachte­n ist voll. Unter Zeitnot hastet man durch die Stadt – im schlimmste­n Fall sogar erst am 24. Dezember. Eine sichere Garantie für die falsche Entscheidu­ng. Bei in Hast Gekauftem geht es eher darum, überhaupt noch etwas zu bekommen, als einen ersehnten Wunsch zu erfüllen. Außerdem: Bei der Suche auf den letzten Drücker bekommt man vieles nicht mehr.

Drittens: Online-Geschenkef­inder machen es vor: Geben Sie Alter und Geschlecht des zu Beschenken­den ein, und Sie landen bei Klischee-Vorschläge­n. Auch ohne solche Programme neigen wir dazu, andere zu kategorisi­eren. Männer bekommen darum eher technische Geschenke, Werkzeug oder Socken. Frauen wird garantiert­e Freude über Kosmetika, Parfum oder Schmuck unterstell­t. Individuel­les Schenken geht anders.

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FOTO: THINKSTOCK Was ist bei Geschenken entscheide­nd: die Menge oder der Inhalt?

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