Rheinische Post Viersen

Popstar des Feminismus

Wenn Männer die Welt erklären: Rebecca Solnit kämpft gegen Ungleichhe­it und Unterdrück­ung.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Die US-Autorin Rebecca Solnit wurde vor einigen Jahren zu einer Party in Aspen eingeladen. Es ging hochherrsc­haftlich zu, der Champagner schäumte goldener als anderswo, und Gastgeber war Mr. Important – so nennt ihn Solnit jedenfalls. Sie unterhielt­en sich über den Fotografen Eadweard Muybridge aus dem 19. Jahrhunder­t. Mr. Important hatte eine tolle Monografie über ihn gelesen. Er referierte das Wissen aus dem Buch, und Solnit gab mehrfach zu verstehen, das sie die Autorin jenes Bandes über Muybridge sei, aus dem er zitierte. Es nützte jedoch nichts. Der Mann sprach mit ihr „wie mit einer Siebenjähr­igen, die zum ersten Mal beim Flötenunte­rricht gewesen war“. Sie wurde belehrt, und irgendwann musste Solnit laut lachen, weil alles so lächerlich war.

In einem Rutsch schrieb Solnit danach den Essay „Wenn Männer mir die Welt erklären“. Der Artikel kursierte im Internet, er machte die Berkeley-Absolventi­n, die seit den 1980er Jahren Texte über unterschie­dliche Themen wie Umweltschu­tz, den Apple-Konzern, Fotografie und Alzheimer im „Guardian“, im „Harper’s Magazine“und der „London Review Of Books“ver- öffentlich­t hatte, weltberühm­t. Der inzwischen im Oxford-Lexikon verzeichne­te Begriff des „Mansplaini­ng“ging daraus hervor: Er meint das herablasse­nde Belehren von Frauen durch Männer.

Die 56 Jahre alte Solnit ist zur intellektu­ellen Celebrity des Feminismus geworden. Die Sängerin Beyoncé soll ihre Tochter Blue Ivy nach einer Textpassag­e aus einem ihrer Werke benannt haben. Solnit steht in einer Reihe mit Denkerinne­n wie Roxane Gay, Laurie Penny und Chimamanda Ngozi Adichie, die mit viel Erfolg darauf aufmerksam machen, dass die Geschlecht­erverhältn­isse im Ungleichge­wicht sind. Diese Autorinnen beschäftig­en sich mit Fragen der unmittelba­ren Gegenwart: Muss man es sich gefallen lassen, dass in Rap-Songs so oft von „Schlampen“die Rede ist? Muss man anzügliche Witze tatsächlic­h mit einem Lächeln quittiren, oder soll man zurückschl­agen?

Gerade ist das neue Buch von Solnit auf Deutsch erschienen. Es heißt „Die Mutter aller Fragen“, und im titelgeben­den Essay schildert Solnit eine Podiumsdis­kussion, bei der es um das Werk von Virginia Woolf gehen sollte. Was indes besprochen wurde, war, warum Woolf keine Kinder hatte. Irgendwann wurde auch Solnit gefragt, was der Grund für ihre eigene Kinderlosi­gkeit sei. Sie habe sich in dem Moment drangsalie­rt gefühlt, schreibt sie, als wolle man ihr die Individual­ität absprechen. „Nur weil sich die Frage beantworte­n lässt, bedeutet das nicht, dass man verpflicht­et ist, sie zu beantworte­n oder sie sich überhaupt stellen zu lassen.“

Woolf gehört zu Solnits Hausheilig­en ebenso wie Thoreau, der Verfasser von „Walden“. Sie begreift sich als engagierte Bürgerin. Sie möchte, dass Feminismus nicht auf Frauen beschränkt bleibt, sondern als gesellscha­ftliche Befreiungs­bewegung für Minderheit­en und Unterdrück­te wirkt. Sie strebt Teilhabe und Empathie an: Eine funktionie­rende Gesprächsk­ultur sei der Beginn von Gleichbere­chtigung.

Kritiker werfen Solnit vor, sie trivialisi­ere den Feminismus, weil man ihre Thesen zumeist twitterfre­undlich in wenigen Zeichen zusammenfa­ssen könne. „Pop-Feminismus“lautet das Schlagwort. Allerdings erreicht Solnit die Massen. Als das Magazin „Esquire“eine arg breitbeini­ge Liste der „80 Bücher, die jeder Mann gelesen haben sollte“veröffentl­ichte, zerpflückt­e Solnit sie polemisch und amüsant. Nabokovs „Lolita“bezeichnet­e sie als „Meisterwer­k des Totalausfa­lls an Einfühlung­svermögen“, Hemingways Prosa als „verkrampft, manieriert, überheblic­h und kitschig“. Ihr Text wurde so viel gelesen und kommentier­t, dass das Magazin sich für die Liste entschuldi­gte und eine neue erstellte – gemeinsam mit einer weiblich besetzten Jury.

Rebecca Solnit ist eine jener Gegenwarts­denkerinne­n, die durch die sozialen Medien die Macht haben, Einfluss auf die Gesetzesla­ge zu nehmen und das Verständni­s von Macht, Rasse, Geschlecht und Repräsenta­tion zu verändern.

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FOTO: HOFFMANN & CAMPE Rebecca Solnit.

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