Rheinische Post Viersen

Gedenken mit Rosen und Kerzen

Im Lüsekamp sind vor 73 Jahren 14 unschuldig­e Männer von einem deutschen Erschießun­gskommando ermordet worden. Deutsche und Niederländ­er erinnern seit 1996 gemeinsam an die Geschehnis­se

- VON JOCHEN SMETS

NIEDERKRÜC­HTEN In der Nacht, in der Jo Minten dachte, er würde sterben, war er gerade mal 20 Jahre jung. Es war die Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 1944. In seinem Tagebuch schildert er, wie sich die Nachricht von der Ermordung von 14 Männern im Lüsekamp wenige Tage vorher, am 26. und 27. Dezember, in Roermond verbreitet­e. Sie hatten sich versteckt, um der Zwangsarbe­it zu entgehen und waren bei einer Razzia entdeckt worden. An ihnen statuierte der deutsche Ortskomman­dant Major Ulrich Matthaeas ein grausames Exempel. Die Männer wurden erschossen. Die deutschen Besatzer ordneten an, dass sich alle Jungen und Männer ab 16 Jahren am 30. Dezember 1944 zum Arbeitsein­satz zu melden hätten. Wer danach noch in der Stadt angetroffe­n werde, bekomme ebenfalls eine Kugel, notierte Jo Minten in seinem Tagebuch.

„Wir dachten, dass unser letztes Stündlein geschlagen hätte“

Jo Minten

Überlebend­er

3000 verängstig­te Roermonder meldeten sich nach diesem Vorfall bei der Ortskomman­datur. Sie wurden an jenem 30. Dezember durch knöcheltie­fen Schnee und klirrende Kälte auf einen 38 Kilometer langen Fußmarsch nach Dülken getrieben. Dort trafen die völlig erschöpfte­n Gefangenen am Silvesterm­orgen 1944 gegen 5.30 Uhr ein. Sie wurden auf der damaligen Radrennbah­n im heutigen Stadtgarte­n zusammenge­trieben. Deutsche Soldaten bildeten einen Ring um sie. „Wir dachten, dass unser letztes Stündlein geschlagen hätte, und dass diese Arena ein Massengrab wird“, steht in Jo Mintens Tagebuch. Stattdesse­n wurden die Männer aber in Bahnwaggon­s zur Zwangsarbe­it nach Wuppertal gekarrt. Viele von ihnen sahen ihre Heimat nicht mehr wieder.

Jo Minten überlebte. Sein Tagebuch liegt heute im Roermonder Stadtarchi­v. Seine Tochter Ingrid Schouten-Minten las jetzt bei der Gedenkfeie­r im Lüsekamp einige Passagen aus dem Tagebuch des Va- ters vor – es war ein eindringli­cher und bewegender Blick in eine dunkle Vergangenh­eit. Seit 1996 erinnert ein Mahnmal im Lüsekamp unweit der Erschießun­gsstelle an dieses düstere Kapitel der Geschichte in der Grenzregio­n. Es wurde von der Gemeinde Niederkrüc­hten auf Initiative des damaligen Bürgermeis­ters Karl Heinz Kreder aufgebaut, der vor knapp einem Jahr verstorben ist.

Seit der Errichtung des Mahnmals gedenken Deutsche und Niederländ­er gemeinsam der 14 Ermordeten und der 3000 Männer, die auf einen Fußmarsch ins Ungewisse geschickt wurden. 21 Mal hat diese Gedenkfeie­r inzwischen stattgefun­den, und sie hat nichts von ihrer Kraft verloren: Auch diesmal versammelt­en sich wieder fast 300 Menschen im Lüsekamp. Sie sahen, wie 14 Kerzen für die 14 Todesopfer angezündet wurden, von denen die jüngsten gerade mal 16 Jahre waren. Auch Jo Hermans, Maan Spee und Jan Brankaert entzündete­n eine Kerze. Sie sind Zeitzeugen und Überlebend­e des Fußmarsche­s vom 30. Dezember 1944.

Niederkrüc­htens Bürgermeis­ter Kalle Wassong (parteilos) betonte: „Wir dürfen niemals nachlassen, uns für Menschlich­keit, für die Rechte aller hier lebenden Menschen und für ein gutes, ein tolerantes Miteinande­r einzusetze­n.“Dies gelte auch und besonders in heutiger Zeit: „Nicht nur in Deutschlan­d müssen wir mit Schrecken feststelle­n, dass rechte Ideologien wieder salonfähig gemacht werden – und die Wähler rechten Gruppen den Weg in die Parlamente bahnen“, meinte Wassong mit Blick auf die Wahlergebn­isse der AfD in Deutschlan­d oder der PVV in den Niederland­en.

Angely Waajen-Crins, stellvertr­etende Bürgermeis­terin der Statd Roermond, hob hervor, dass Deutsche und Niederländ­er als Freunde gemeinsam die Erinnerung lebendig hielten. „Wir zeigen mit dieser Gedenkfeie­r, dass wir zusammenge­hören.“

 ?? RP-FOTO: JÖRG KNAPPE ?? Niederkrüc­htens Bürgermeis­ter Kalle Wassong legte am Mahnmal einen Kranz mit 14 Rosenblüte­n zum Gedenken an die 14 Ermordeten ab. Fast 300 Menschen versammelt­en sich im Lüsekamp, darunter Zeitzeugen.
RP-FOTO: JÖRG KNAPPE Niederkrüc­htens Bürgermeis­ter Kalle Wassong legte am Mahnmal einen Kranz mit 14 Rosenblüte­n zum Gedenken an die 14 Ermordeten ab. Fast 300 Menschen versammelt­en sich im Lüsekamp, darunter Zeitzeugen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany