Als Punk weiblich war
Der Film „ Jahrhundertfrauen“von Mike Mills spielt im Kalifornien des Jahres 1979 und erinnert an die großartige Band The Raincoats.
In der tollsten Szene dieses Films sitzt Abbie (Greta Gerwig) auf dem Boden ihres WG-Zimmers vor dem Plattenspieler. Sie hat das Debütalbum der Band The Raincoats aufgelegt. Sie spielt es Jamie vor, dem 15 Jahre alten Sohn ihrer Vermieterin. Die Musik rumpelt sehr schön, „no one teaches you how to live“, heißt es in „Fairytale In The Supermarket“, dem Eröffnungsstück der LP. Als diese Zeile gesungen wird, betritt Jamies Mutter (Annette Bening) den Raum. „Was ist das?“, fragt sie. „Die Raincoats“, antwortet Abbie. Jamies Mutter setzt sich aufs Bett, sie hört ein bisschen zu, und dann sagt sie: „Kann Musik nicht einfach schön sein?“
Mike Mills hat diesen Film gedreht, jener amerikanische Regisseur, der schon mit Sonic Youth und den Beastie Boys gearbeitet und das umwerfende Video für den Song „All I Need“von Air produziert hat. „Jahrhundertfrauen“heißt dieses Werk, und es spielt 1979 in Santa Barbara. Es ist die Zeit des Postpunk. Ein Junge wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, die zwei Zimmer ihres geräumigen, aber baufälligen Hauses untervermietet hat. Es ist eine sonnenverwöhnte Coming-of-AgeGeschichte, eine Ballade vom Erwachsenwerden, ein Seiltanz zwischen Anstand und Ausschweifung. Skateboards spielen eine Rolle und T-Shirts mit den Schriftzügen von Bands wie Devo und Talking Heads. Und weil der 51 Jahre alte Mills, der übrigens mit der Künstlerin und Schriftstellerin Mirandy July verheiratet ist, mit allen Wassern der Popkultur gewaschen ist, benutzt er die Raincoats als Signal, als Codewort.
Diese Gruppe veröffentlichte ihr gleichnamiges Debütalbum 1979. Die Raincoats waren ein Quartett; vier Frauen aus England, Spanien und Portugal erhoben in dieser Band ihre Stimme: Ana de Silva, Gina Birch, Palmolive und Vicky Aspinall. Sie stammten aus der Hausbesetzerszene Londons, sie hatten 1975 das Konzert von Patti Smith in Londons „Roundhouse“erlebt, und seither wussten sie, dass man auch anders leben leben kann, nämlich so, wie man selbst es will.
Diese Platte, deren größter Fan später Kurt Cobain wurde, klingt heute noch großartig. Arglos und doch streng. Kantig und dabei verletzlich. „Zerrüttete Behaglichkeit“, nannte Diedrich Diederichsen das damals. Man sieht Persönlichkeiten beim Werden zu, buchstäblich, denn die Bandmitglieder erlernten ihre Instrumente sozusagen während der Aufnahmen. Sie singen von der Einsamkeit in der Großstadt und davon, dass Alleinsein cool sein kann. Die Raincoats verwirklichten das Ideal das Punk: Jeder kann alles machen. Und sie taten es ohne Rückgriff auf männlich geprägte Rock-’n’-Roll-Klischees. Punk war nie so weiblich wie auf diesem zugleich heiteren und melancholischen Album. Songstrukturen galten nichts mehr, die Raincoats kamen durch Improvisation und Intuition zum Song – ohne indes unsicher zu wirken. Im Gegenteil.
Das Album erschien bei Rough Trade, weil deren Chef, Geoff Travis, die latente Frauenfeindlichkeit des Punk auf die Nerven ging. Er ebnete einer neuen Generation von Musikerinnen den Weg – 1979 erschien auch das Album „Cut“von The Slits, und deren Drummerin Palmolive war ja Teil der Raincoats. Beide Gruppen dienten Bands wie Bikini Kill oder Hole als Vorbilder.