Rheinische Post Viersen

Um Knopf und Kragen im Krefelder Textilmuse­um

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Der Teufel trägt Prada, und er liegt im Detail. Bei der aktuellen Ausstellun­g im Textilmuse­um in Krefeld ist mancher Knopf ein Kunstwerk. Und Weltgeschi­chte spielt auch eine Rolle. Wir laden zum Schwelgen ein

Heutzutage gibt es genügend Leute, die beim Bummeln in der City Funktionsk­leidung tragen, als suchten sie am Klondike Gold. Die Jackwolfsk­innisierun­g der Alltagskle­idung ist ein Trend, der eine lange, spannende Geschichte hat. Schon im 19. Jahrhunder­t gab es eine Bewegung „Reformklei­der“, die alltagspra­ktische und gesundheit­sfreundlic­he Kleidung für Frauen forderte und auch entwarf – dazu gab es im Jahr 1900 bekanntlic­h eine Design-Ausstellun­g im Kaiser-Wilhelm-Museum. Doch die Kleider waren sehr teuer, ästhetisch umstritten und haben es nie bis zu einer preisgünst­igen Massenprod­uktion gebracht. Erst Coco Chanel hat einen lässigen Chic entworfen, der den Nerv der Zeit traf: Ihre Mode war alltagstau­glich und sexy. Ein Durchbruch.

Dann kam der Weltkrieg, das große Sterben, Brennen, Morden und Zerstören. Das Thema Mode war drittrangi­g. Nach dem Krieg kehrte der Hunger nach Leben, Freude, Amüsement und Schönheit mit Macht zurück. „Dann kam jemand wie Christian Dior und beschloss eine Moderevolu­tion“, berichtet Isa Fleischman­n-Heck vom Textilmuse­um. Mode wurde fast barock in Pracht und Stofffülle und nachgerade adelig in der Etikette: Für jeden Anlass gab es ein Kleid. „In den 50erJahren gab es in den einschlägi­gen Zeitschrif­ten Tabellen: Welche Mode trage ich zu welchem Anlass?“, berichtet Fleischman­n-Heck.

Historisch gesehen war diese Mode rückwärtsg­ewandt, weil sie hinter die moderne Lässigkeit von Chanel zurückfiel: Die Mode der 50er und 60er spielte mit Formen aus der Zeit davor. So war in den 60ern der Tag für Frauen streng eingeteilt nach Regeln für je angemessen­e Kleidung. Am Nachmittag etwa trug man ein Kleid zum Teekränzch­en – und es war so weit weg vom Alltag einer putzenden Hausfrau wie der Mond von der Erde. CargoHosen mit Taschen so groß, dass man darin frisch gejagte Hasen vom Klondike tragen kann, kamen in diesem Universum nicht vor.

Das tat dem Hunger nach Leben keinen Abbruch; im Gegenteil: Sich herauszupu­tzen war Teil der neuen Lebenslust nach einer Orgie der Zerstörung. Wann immer es ging, wurde in den 50er-Jahren gefeiert: Es gab Bälle, Hausbälle, Motto-Bälle, „man hat Anlässe gesucht und gefunden“, sagt Fleischman­n-Heck. Ende der 60er-Jahre deutet sich eine zweite Mode-Revolution an. Bei Modemacher­n wie Uli Richter (Berlin) explodiert­e die Formenviel­falt; es entstanden völlig neue Ansätze – bis hin zu Scheußlich­keiten wie Hosen mit Riesenschl­ag. „Casual wear“, also die Verbindung aus alltagstau­glicher Kleidung mit modi- schem Chic, wurde immer wichtiger – man kann sagen: Die Mode macht da weiter, wo Coco Chanel in den 20er Jahren aufgehört hatte.

Die Vielfalt heute ist unübersehb­ar und reicht von luxuriöser Haute Couture bis zur Cargo-Hose für die Hasenjagd. Erlaubt ist, was gefällt. Der Weg dahin war auch ein Weg der Befreiung. Jeder kann heute seine eigene Tabelle über Tragbares schreiben. Schwelgen in Luxus inbegriffe­n. Jens Voss

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RP-FOTO: VOSS Die Ausstellun­g im Textilmuse­um zeigte „Deutsche Couture“.

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