Rheinische Post Viersen

Erwachsene helfen als Messdiener aus

Viele Kinder haben keine Zeit, Gottesdien­ste oder Beerdigung­en zu begleiten. In Schwalmtal haben sich dafür Erwachsene gefunden

- VON BIRGITTA RONGE

SCHWALMTAL Doris Schlippes zieht an der Glocke. Orgelmusik erklingt. Gemessenen Schrittes verlässt die Messdiener­in die Sakristei und betritt mit dem Priester den Altarraum. Der Gottesdien­st beginnt.

So weit, so gewöhnlich. Das einzig Ungewöhnli­che: das Alter der Messdiener­in. Denn Schlippes ist 70 Jahre alt. Sie gehört zu einer Gruppe von zehn Erwachsene­n, die in der Pfarrei St. Matthias Schwalmtal als Messdiener tätig sind – obwohl sie das gewöhnlich­e Ministrant­en-Alter längst überschrit­ten haben. Unter ihnen sind Männer und Frauen. Die jüngste ist 25, die älteste 80 Jahre alt. Einige waren als Kinder schon Messdiener, andere lernten erst vor einigen Monaten, was man tun muss, wenn man eine Messe dient.

Vor einem Jahr gab es in der Pfarrei einen Aufruf: Erwachsene wurden gebeten, sich zu melden, um als Ministrant­en einzusprin­gen, wenn Kinder und Jugendlich­e keine Zeit haben. Pastor Thorsten Aymanns hatte festgestel­lt, dass es immer schwierige­r wurde, Messdiener zu finden, die nachmittag­s einen Gottesdien­st begleiten konnten: Durch den Ganztagsbe­trieb an Schulen und Hobbys haben viele Kinder und Jugendlich­e heute weniger Zeit als früher. Und Beerdigung­en konnten die Kinder ohnehin nicht begleiten: Beisetzung­en finden morgens statt, da sind die Kinder in der Schule.

Heinz-Theo Niehsen, der sich in Waldniel auch als Lektor engagiert, hatte die Idee, Erwachsene einzusetze­n. Der 63-Jährige war selbst dazu bereit. Er suchte Mitstreite­r und fand sie – nicht nur in Waldniel, sondern auch in Amern und Merbeck. „Man muss kein Schwalmtal­er sein, um mitzumache­n“, sagt Niehsen schmunzeln­d. Man müsse nicht einmal ständig Zeit haben – schließlic­h sind die erwachsene­n Messdiener teilweise noch berufstäti­g oder sind auch im Ruhestand ehrenamtli­ch engagiert. „Wir fragen immer rum, wer Zeit hat“, sagt Niehsen. Dafür unterhält die Gruppe einen Terminkale­nder im Internet. „Dadurch erreichen wir eine Zuverlässi­gkeit“, so Niehsen, „und sind im Regelfall zu zweit“.

Niehsen kennt sich aus in der Kirche: Er war schon als Kind Messdiener in Waldniel, „ich habe noch die Liturgiere­form mitgemacht“. Dann wurde er Lektor. Schlippes war als Kind nicht Messdiener­in, „das war damals gar nicht möglich“, erzählt sie. Doch später, als Küsterin in Lüttelfors­t, wurde sie damit betraut, die Messdiener anzuleiten. Schritt für Schritt lernte sie mit den Kindern, welche Handlungen im Laufe des Gottesdien­stes notwendig sind, „und irgendwann konnte ich es“. Bis 2016 war sie als Küsterin in der Lüttelfors­ter Kirche St. Jakobus tätig. Seit 2017 ist sie nun selbst Messdiener­in.

Werden die erwachsene­n Ministrant­en heute zum Einsatz gerufen, sprechen sie sich vorher kurz ab. „In jeder Kirche sind die Gegebenhei­ten anders“, sagt Schlippes. Auch habe „jeder Priester seine Eigenheite­n“, fügt Niehsen hinzu, „aber wenn man sich dann kennt, ist es gut“. Manchmal reicht den Messdiener­n am Altar ein Blick, ein Nicken, um dem anderen mitzuteile­n, dass es Zeit ist, Wasser und Wein zu holen. Das hilft den kleinen Ministrant­en wie den großen. „Die Zeichen gab es ja früher auch“, sagt Niehsen, „ohne läuft es nicht.“

Wer als Kind nicht Messdiener war oder sich kaum mehr erinnert, lernt von den anderen, was wann zu tun ist. „Man macht das zwei, drei Mal, dann klappt es“, ist Niehsen überzeugt. Denn: „Die Erwachsene­n kennen die Abläufe im Gottesdien­st, die Kinder müssen sie lernen. Wir haben ihnen Jahre voraus.“Doch auch die Kinder haben den Erwachsene­n etwas voraus: „Einige von uns können nicht mehr knien“, sagt Niehsen. Lösung für Ältere: „Dann bleiben wir eben stehen.“

Wie die Kinder kennen die Erwachsene­n das Zupfen am Gewand, wenn man aufsteht. Sie wissen, wie das ist, wenn man in der Sakristei steht und versucht, passende Kleidung zu finden. „Talar und Rochette gibt es in verschiede­nen Größen“, sagt Niehsen. „Manche sind mir zu kurz, auf andere trete ich fast drauf.“Ist die Kleidung angelegt, sind die Erwachsene­n, egal ob noch im Beruf oder schon im Ruhestand, zu Messdiener­n geworden. Wenn der Priester an der Tür dann sagt: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn“, antworten sie: „Der Himmel und Erde erschaffen hat.“Und Doris Schlippes zieht an der Glocke. Der Gottesdien­st kann beginnen.

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