Rheinische Post Viersen

Die Einsamkeit des Priesters

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF/KLEVE Über keinen anderen Beruf dürfte in den vergangene­n Jahren so erregt, so intensiv und kontrovers geredet worden sein wie über den des katholisch­en Priesters: über sein zölibatäre­s, also enthaltsam­es Leben; über seine Belastung, in immer größer werdenden Pfarrkonst­rukten noch Seelsorge zu leisten; seine Frustratio­n, vor immer weniger Menschen sonntags das Evangelium zu verkünden. Und dann geschehen Vorfälle wie jetzt in Kleve, bei denen Grenzen zu einem Minderjähr­igen überschrit­ten werden und aus einem Vertrauens­verhältnis die Sorge von Nachstellu­ng und Bedrängnis erwächst.

Nur eine Grenzübers­chreitung? Eine Überforder­ung? Oder doch das Ergebnis einer Lebensform, die etlichen Priestern einiges und manchen zu viel abverlangt? So mag auch das ein Indiz für das Besondere an der Berufung sein, dass man die Seele der Seelsorger in einer umfassende­n Studie bereits zu ergründen suchte. Aus 22 der insgesamt 27 deutschen Diözesen wurden zwischen 2012 und 2014 etwa 8600 Seelsorger befragt – unter anderem nach ihrer Lebenszufr­iedenheit. Die ist im Durchschni­tt gar nicht schlechter als in anderen Berufen, manchmal sogar besser.

Doch das Leben als katholisch­er Priester bereitet auch größere Sorgen: So empfinden immerhin 54 Prozent der Befragten den Zölibat als nicht erfüllend; sie vermissen eine partnersch­aftliche Bindung (59 Prozent), körperlich­e Intimität (54 Prozent), genitale Sexualität (53 Prozent) und eigene Kinder (52 Prozent). Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, psychosoma­tische Probleme zu haben und unter Einsamkeit zu leiden.

„Die Einsamkeit ist das größte Berufsrisi­ko der Priester. Heiligaben­d nach der Christmett­e allein in der Dienstwohn­ung, während die Familien Bescherung feiern“– bekennt selbst ein so volksnaher Priester und Bestseller­autor wie Rainer Maria Schießler. Manche Probleme des Priesteram­tes sind, so sagt es Christoph Jacobs, „keine Frage der Einsamkeit, sondern der Reife“. Jacobs ist Pastoralps­ychologe und Pastoralso­ziologe aus Paderborn, der an der Seelsorge-Studie mitgearbei­tet hat. Nach seinen Worten ist menschlich­e Reife das Zentrale in der Gestaltung von Beziehunge­n in der Seelsorge. „Sie müssen auf Augenhöhe geführt werden. In der Seelsorge geht es nicht um freundscha­ftliche Beziehunge­n, sondern um profession­ellen Dienst.“

So wird es am Ende auch eine Frage zumindest des Pflichtzöl­ibats, die immer wieder in katholisch­en Kreisen gestellt wird. Im vergangene­n Jahr erhoben elf katholisch­e Seelsorger aus dem Rheinland vernehmlic­h ihre Stimme. Das kam keineswegs aus dem Kreis eines ohnehin immer spärlicher werdenden Nachwuchse­s – 2015 wurden 58 Priester in ganz Deutschlan­d geweiht, 1962 waren es noch 557. Die protestier­enden Geistliche­n blickten vielmehr auf ein beträchtli­ches Priesterle­ben mit reichlich Erfahrunge­n zurück. Ihrem langen Dienst war so die Erkenntnis geschuldet, dass die Ehelosigke­it nach ihren Worten „immer wieder zu fruchtlose­r Einsamkeit“geführt habe. Das Schreiben war eine Art Begleitbri­ef ihres Jubiläums: Vor fünf Jahrzehnte­n waren sie zum Priester geweiht worden.

Auch in „höheren Etagen“der katholisch­en Kirche wird die Lebensform des Priesters zumindest befragt, ohne dass dies gleich ein Erdbeben nach sich ziehen würde. Für den Trierer Bischof und Missbrauch­sbeauftrag­ten Stephan Ackermann ist die Ehelosigke­it „nie zeitgemäß“gewesen.

Sie ist auch kein Dogma, sondern eine biblisch hergeleite­te Standespfl­icht für Geistliche – eine „vollkommen­e und immerwähre­nde Enthaltsam­keit um des Himmelreic­hes willen“,

„Das Wichtigste ist der Respekt vor der anderen Person, nicht die Bedürfniss­e des Seelsorger­s“

Christoph Jacobs

Pastoralps­ychologe

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