Rheinische Post Viersen

Es läuft, wenn die Borussen laufen

Dieter Heckings Team hat die fünftmeist­en Kilometer in der Fußball-Bundesliga zurückgele­gt, wird aber häufig vom Gegner übertroffe­n – nicht so beim Heimsieg am vergangene­n Samstag gegen Augsburg.

- VON JANNIK SORGATZ

MÖNCHENGLA­DBACH Packing war im Sommer 2016 der nächste Heilige Gral des Fußballs: Während der Europameis­terschaft in Frankreich wurden die Fernsehzus­chauer so sehr mit überspielt­en Verteidige­rn und Gegnern bombardier­t, dass die Satireseit­e „Postillon“den Hype gewohnt treffsiche­r aufs Korn nahm, indem sie das Goaling erfand. „Beim sogenannte­n Goaling wird gezählt, wie oft es einer Mannschaft gelingt, den Ball ins gegnerisch­e Tor zu befördern“, schrieb der „Postillon“. „Der Clou: Teams mit einer höheren Goaling-Rate als ihr Gegner gewinnen zu 100 Prozent.“

Am Ende der ersten Packing-Saison konnte sich Mit-Erfinder und Ex-Profi Stefan Reinartz ligaweit jedoch mit einer 88-prozentige­n Trefferquo­te rühmen. Mehr Torschüsse, mehr Ballbesitz, mehr gewonnene Zweikämpfe – alles nebensächl­ich. Eine weitere Statistik erlitt ebenfalls einen Imageschad­en: Nur in 60 Prozent der Fälle war der Sieger eines Spiels auch mehr gelaufen. „Die Logik, wer viel läuft, spiele erfolgreic­heren Fußball, wirkt auf den ersten Blick anziehend“, schreibt Taktikexpe­rte Tobias Escher auf Spielverla­gerung.de. „Sie ist aber statistisc­h nicht nachweisba­r.“

In Dieter Heckings erstem Halbjahr bei Borussia lag der Wert dann auch bei 62 Prozent, alles ganz normal also. Dagegen könnte in dieser Saison statt des Ergebnisse­s häufig die Laufstatis­tik auf den Videowände­n eingeblend­et werden: In 80 Pro- zent der Spiele mit einem Sieger setzte sich die Mannschaft durch, die am Ende mehr Kilometer auf dem Zähler hatte. In sechs von 19 Spielen lief Borussia mehr – alle wurden gewonnen.

Am Samstag beim 2:0 gegen den FC Augsburg legte Gladbach erst- mals seit dem Sieg gegen den FC Bayern Ende November mehr Kilometer zurück als der Gegner. Wer die 90 Minuten gesehen hat, ist geneigt, zu sagen: Man konnte es erkennen. Der genaue Wert ist dabei nebensächl­ich, weshalb wir in der Infobox auch nur die Differenz notiert haben. 116,6 Kilometer gegen Augsburg waren für Borussia unterdurch­schnittlic­h, aber eben 3,4 mehr als der Gegner – nur gegen Bayern und Hertha BSC gab es ein größeres Plus. Dafür hat es keinen Sinn, Werte jenseits der 120 Kilometer pauschal zu loben. Die TSG Hoffenheim schaffte zuletzt 126,8 Kilometer und blieb trotzdem einen halben hinter Bayer Leverkusen zurück. Und Gladbach lief bei der Niederlage gegen den SC Freiburg im Dezember 122,1 Kilometer, die gegen die 127,5 des Gegners wieder mau aussahen.

Dass Lars Stindl das Spieler-Ranking anführt, muss zweigeteil­t bewertet werden. Der Kapitän ist wie Thorgan Hazard (Platz vier) zwar äußerst emsig für einen Offensivsp­ieler, hat aber auch fast immer durchgespi­elt. Auf 90 Minuten gerechnet, ist Vincenzo Grifo von allen Borussen am meisten unterwegs (12,3 Kilometer), knapp vor Christoph Kramer, Michael Cuisance und Patrick Herrmann (je 12,2). Stindl (12,1) kommt knapp, Hazard (11,7) deutlich dahinter.

Während Heckings Mannschaft den Laufdaten wieder mehr Aussagekra­ft verliehen hat, gilt bei der Ballbesitz-Statistik überrasche­nd: Weniger ist meistens mehr. In sie- ben Partien mit weniger Ballbesitz hat Borussia im Schnitt 2,0 Punkte geholt, in zwölf mit mehr Anteilen dagegen nur 1,4. Das AugsburgSp­iel passte demnach perfekt ins Bild: mehr gelaufen, weniger am Ball, drei Punkte geholt. Eintracht Frankfurt hat im Schnitt übrigens nur 47 Prozent Ballbesitz. Mehr als 50 könnten aus Borussias Sicht am Freitag (20.30 Uhr/Eurosport Player) also nicht verkehrt sein.

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FOTO: PÄFFGEN Ist in dieser Saison schon mehr als 215 Kilometer gelaufen und joggte gestern – als „Vorsichtsm­aßnahme“– nur um den Trainingsp­latz: Thorgan Hazard.

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