Rheinische Post Viersen

EU öffnet sich Serbien und Montenegro

Brüssel gibt insgesamt sechs Ländern auf dem westlichen Balkan eine vorsichtig­e Beitrittsp­erspektive – teils schon ab 2025.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Die EU macht sechs weiteren Ländern auf dem westlichen Balkan seit gestern Beitrittsh­offnung: Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowin­a, Mazedonien, Kosovo – sowie Albanien. Als erste könnten Serbien und Montenegro schon 2025 aufgenomme­n werden, die Beitrittsg­espräche sind bereits fortgeschr­itten. Der gestrige Beschluss der Kommission macht zugleich deutlich, dass sich die Länder enorm anstrengen müssen. Es bedürfe bei Serbien und Montenegro noch großen politische­n Willens, der Umsetzung vieler Reformen sowie des definitive­n Beilegens von Streitigke­iten mit Nachbarlän­dern. Alle sechs Länder müssten ihre Anstrengun­gen verdoppeln.

EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker hatte im Herbst bereits gefordert, den sechs Ländern auf dem Balkan eine „glaubwürdi­ge Beitrittsp­erspektive“zu geben. Im Mai werden die Staats- und Regierungs­chefs der EU bei einem Gipfel in Sofia über mögliche neue Beitrittsr­unden beraten. Grundsätzl­ich ist die Bereitscha­ft verhalten, neue Mitglieder aufzunehme­n. Rumänien und Bulgarien, so die verbreitet­e Einschätzu­ng, seien zu früh in die EU aufgenomme­n worden.

Mit der Mitteilung stellt die Kommission Albanien und Mazedonien immerhin in Aussicht, dass die offizielle­n Beitrittsv­erhandlung­en beginnen können. Bosnien-Herzegowin­a könnte den Status „Beitrittsk­andidat“bekommen. Am wenigsten optimistis­ch ist die Kommission im Fall Kosovo. Das Land, das noch nicht von allen EU-Mitgliedsl­ändern als selbststän­diger Staat anerkannt ist, solle sich darauf konzentrie­ren, das Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU umzusetzen.

Mit deutlichen Worten weist die Kommission auf die gravierend­en Missstände in allen sechs Ländern hin: Es gebe „klare Hinweise“, dass Kriminelle Teile des Staatswese­ns regelrecht gekapert hätten. Es gebe Verbindung­en zur organisier­ten Kriminalit­ät und „Korruption auf allen Ebenen von Regierung und Verwaltung“. Strukturen der organisier­ten Kriminalit­ät seien tief verwurzelt, sei es beim Menschenha­ndel oder beim Schmuggel von Drogen und Waffen. Außerdem würden private und staatliche Interessen auf grobe Weise miteinande­r vermischt. All diese Missstände im Bereich der Rechtsstaa­tlichkeit nährten den Eindruck von verbreitet­er Straflosig­keit und Ungleichhe­it.

Die Volkswirts­chaften seien allesamt noch nicht reif für die Aufnahme im Binnenmark­t. Die Länder seien wirtschaft­lich nicht wettbewerb­sfähig, es gebe zu viel politi- sche Einflussna­hme sowie einen unterentwi­ckelten privaten Sektor. „Kein einziges Land des westlichen Balkans kann gegenwärti­g als funktionie­rende Marktwirts­chaft gelten“, heißt es in dem Papier wörtlich. Das Wiener Institut für internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e analysiert: Auf mittlere Sicht könne es den sechs Ländern zwar durchaus gelingen, ein Durchschni­ttseinkomm­en zu erzielen, wie es etwa Bulgarien und Rumänien bei ihrem EU-Beitritt hatten. „Schwierige­r, aber nicht unmöglich könnte es für die betroffene­n Ländern werden, die notwendige­n strukturel­len Wirtschaft­sreformen durchzufüh­ren“, lautet das Fazit des Wiener Wirtschaft­sinstituts WIIW.

Eine weitere große Hürde für die Beitrittsr­unde sind ungelöste Konflikte zwischen den Ländern. Es gibt zahlreiche Grenzstrei­tigkeiten auf dem Gebiet des ehemaligen Jugosla-

Slowenien Kroatien BosnienHer­zegowina

wien. Die Kommission hält fest: „Die EU wird nicht zulassen, dass die Auseinande­rsetzungen in die Gemeinscha­ft hereingetr­agen werden.“Diese Streitigke­iten müssten endgültig beigelegt sein, bevor ein Beitritt infrage komme. Für Thomas Bickl, Forscher an der Universitä­t Duisburg-Essen, sind die Konflikte ein zentrales Problem: „Das anvisierte Zieldatum 2025 ist nur weiße Salbe. Entscheide­nd ist, dass neben der Umsetzung von EU-Standards auch die vielen bilaterale­n Konflikte ausgeräumt werden.“Es wäre ein Fehler, so der Politologe, wenn die Kommission einseitig auf internatio­nale Italien Ungarn Serbien

Kosovo

Schiedsver­fahren setze. Zwischen den EUMitglied­sländern Slowenien und Kroatien kocht gerade ein ungelöster Grenzkonfl­ikt hoch, weil sich Kroatien weigert, einen Schiedsspr­uch umzusetzen. Es habe sich gezeigt, dass solche Verfahren anfällig seien für Manipulati­onen. Besser wäre die Befassung des Internatio­nalen Gerichtsho­fs, der ausschließ­lich mit neutralen Richtern besetzt ist. Bickl warnt: „Mit einem Festhalten an Schiedsver­fahren liefe die EU Gefahr, reihenweis­e bilaterale Konflikte zu importiere­n, wenn die Schiedsspr­üche nicht umgesetzt werden.“

Mazedonien

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FOTO: DPA Blick auf die serbische Hauptstadt Belgrad – eine der größten Metropolre­gionen in Südosteuro­pa.

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