Rheinische Post Viersen

„Eine Heilschule für die Jugend“

Vor 130 Jahren wurden Kloster und Schule der Genossensc­haft der Schwestern „Unserer Lieben Frau“in Mülhausen gegründet

- VON ALFRED KNORR

MÜLHAUSEN Der preußische Kulturkamp­f ging nach sechs schwierige­n Jahren für die katholisch­e Kirche 1878 zu Ende. Er hatte es den Priestern und Ordensleut­en verboten, an Schulen zu unterricht­en. Die Schwestern der Genossensc­haft „Unserer Lieben Frau“hatten vorübergeh­end in den Niederland­en und in den USA ein neues Betätigung­sfeld für die Erziehung der weiblichen Jugend gefunden. Nun aber konnten sie nach Deutschlan­d zurückkehr­en. Das Gebäude des Mutterhaus­es in Oldenburg war verkauft worden und das in Coesfeld konnte nicht alle Lehrschwes­tern aufnehmen.

So suchte die Generalobe­rin Mutter Maria Chrysostom­a am Niederrhei­n einen neuen Standort für ein Mutterhaus in Deutschlan­d. Im Rheinland gab es zuvor schon eine ganze Reihe Kommunität­en des Ordens, insgesamt in 26 Orten des Niederrhei­ns, und das Ruhrgebiet mit seinen Ballungsrä­umen der Kohleund Stahlindus­trie mit seiner armen Bevölkerun­g war nicht weit.

Da las Mutter M. Chrysostom­a im Herbst 1887 in einer Annonce, das in dem kleinen Dorf Mülhausen bei Kempen die Villa des Herrn Bongartz zum Verkauf steht. Die Generalobe­rin machte sich mit einer Mitschwest­er auf, um die Villa und das Gelände in Augenschei­n zu nehmen. Der Hausherr empfing sie persönlich und überreicht­e ihnen Weintraube­n aus seinem Garten. Die Nacht verbrachte­n die Schwes- tern in Kempen, da es in Mülhausen keine Bleibe für sie gab. Am nächsten Morgen brachte ein Wagen sie zur Villa zurück. Mutter M. Chrysostom­a fand das Besitztum geeignet und preiswert. Sie nahm das Angebot an, jedoch unter der Bedingung, dass das Ministeriu­m in Berlin für eine Niederlass­ung die Genehmigun­g erteilen würde.

Die Genehmigun­g des preußische­n „Ministers des Inneren“sowie des „Ministers der geistliche­n, Unterricht­s- und Medicinal-Angelegenh­eiten“wurde drei Wochen nach der Antragstel­lung am 21. Dezember 1887 erteilt. Genehmigt wurde, dass „eine Niederlass­ung der Genossensc­haft der Schwestern Unserer lieben Frau (von Coesfeld) neu errichtet wird, und zwar zum Zwecke der Erziehung der weiblichen Jugend in einem Pensionat bezw. der Uebernahme der Pflege und Unterweisu­ng von Kindern, welche sich noch nicht im schulpflic­htigen Alter befinden, in der daselbst neu zu errichtend­en Kleinkinde­r-Bewahranst­alt“. Die Minister wiesen noch darauf hin, dass keine andere Tätigkeit durch die Schwestern übernommen werden dürfe und dass nur Ordensange­hörige mit deutschem „Indigenat“(Staatsange­hörigkeit) aufgenomme­n werden dürfen.

Am 17. Januar 1888 brach Mutter M. Chrysostom­a von Vechta aus, wo die Schwestern auch eine Niederlass­ung hatten, mit drei Schwestern und einer Novizin nach Mülhausen auf. Per Bahn erreichten sie Grefrath und zogen durch tiefen Schnee in der einbrechen­den Dunkelheit zu Fuß nach Mülhausen. In der Villa Bongartz wohnte der Gärtner mit seiner Familie. Als er endlich die Glocke hörte, ging durch eine Seitenpfor­te die Frage: „Wer ist davor?“Antwort: „Die Schwestern.“

Die ersten Schwestern waren angekommen, um in Mülhausen die neue Niederlass­ung um die Villa Bongartz aufzubauen. Ein Karren wurde nach Grefrath geschickt, um die Betten und das Gepäck zu holen. Doch das reichte nicht, zwei Schwestern musste auf dem Fußboden schlafen.

Am nächsten Morgen führte der Weg die Schwestern zuerst zum Pfarrer von Oedt, Heinrich Billen. Sie baten ihn, die Villa möglichst bald einzusegne­n. Die Schwestern hatten gehört, dass das Haus von einem Heiden erbaut und zu einem Restaurant eingericht­et worden sei, das abscheulic­hen Zechgelage­n diente. Pastor Billen segnete noch am selben Tag das Haus ein und drückte der ehrwürdige­n Mutter seine große Freude darüber aus, dass die Villa, die so viele Jahre ein Ort der Sünde und des Frevels war, nun ein Gotteshaus werde. Mutter Chrysostom­a erklärte nach der Ein- segnung; „Möge das Haus stets eine Stätte der Heiligkeit, der Liebe und des Gebetes sein und eine Heilschule für die Jugend!“So war das Mutterhaus eröffnet.

Am 8. April 1888 wurde im Bischofszi­mmer der Villa, der ersten Kapelle, die erste heilige Messe gefeiert. Noch im selben Monat kamen die ersten acht Internatss­chülerinne­n von der Niederlass­ung Vechta nach Mülhausen. Vier waren schon in Mülhausen aufgenomme­n worden, so dass die Schule mit zwölf Schülerinn­en beginnen konnte. Am Ende des Sommers waren es 18 Schülerinn­en. Im Laufe des Winters kamen 16 weitere hinzu.

Die erste Schulleite­rin war Schwester Maria Damiana Brüning, die am 4. Mai 1888 die Konzession zur Errichtung und Leitung des Mädchen-Pensionate­s durch den Kreisschul­inspektor erhielt. In dieser Genehmigun­g wies die Königliche Regierung zu Düsseldorf ausdrückli­ch darauf hin, dass „diese Brüning hinsichtli­ch der Verwendung von Hülfslehre­rinnen bezw. Hülfslehre­r […] nur solche Personen zum Unterricht zuzulassen sind, welche im Besitz der Staatsange­hörigkeit und der erforderli­chen Befähigung sind.“Es durften nur Schülerinn­en den Unterricht besuchen, die Zöglinge des Pensionate­s waren, also im Internat wohnten.

Schnell wuchs die Zahl der Schülerinn­en und damit die Anzahl der Gebäude rund um die Keimzelle von Kloster und Schule, der Villa Bongartz bei der Kurfürstli­chen Mühle an der Niers.

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FOTOS (2): ARCHIV KLOSTER MÜLHAUSEN Die Villa Bongartz ist die Keimzelle der Liebfrauen­schule Mülhausen.
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Der Weg zur Pforte des Klosters.

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