Rheinische Post Viersen

Der Klang der Natur

Biologen sammeln Töne ihrer Umwelt und erforschen damit, wie sich Lebensräum­e verändern.

- VON NATALIE URBIG

DÜSSELDORF Wenn Sandra Müller ihre Tondatei öffnet, hört sie die Natur. Vögel singen, Grillen zirpen, Wind rauscht durch die Baumkronen. Ab und an tritt der Mensch in die Klangkulis­se. Ein Traktor röhrt dann auf dem Feld, und Autos rasen über eine nahegelege­ne Straße. Sandra Müller ist Biologin und Geobotanik­erin an der Universitä­t in Freiburg. Sie beschäftig­t sich mit Biodiversi­tät, also Artenvielf­alt, und welchen Einfluss diese auf ein Ökosystem hat, zum Beispiel auf seinen Nährstoffk­reislauf. Anhand von akustische­n Signalen will Müller den Lebensraum von Pflanzen und Tieren erforschen. Bioakustik oder „Soundscape Ecology“wird die Disziplin genannt.

Dafür hat ein Team von Biologen 300 Mikrofone in Deutschlan­ds befestigt: auf der Schwäbisch­en Alb, in der Region Hainich in Thüringen und im brandenbur­gischen Biospähren­reservat Schorfheid­e-Chorin. Sie nahmen in Wäldern, Feldern und Wiesen Geräusche bis zu einem Frequenzbe­reich von 24 Kiloherz auf. „Das ist schon deutlich über dem, was das menschlich­e Ohr normalerwe­ise hören würde“, sagt Müller. Ein Jahr lang liefen die Rekorder, alle zehn Minuten wurde eine Minute aufgezeich­net. Herausgeko­mmen ist ein riesiger Datensatz: Mehr als 15 Millionen Minuten Naturgeräu­sche liegen den Forschern vor. „Um die Aufnahmen durchzuhör­en, bräuchte man 30 Jahre“, sagt die Biologin und fügt hinz. „In Europa ist es das größte Projekt dieser Art.“Gefördert wird es von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft.

Es war in den 1950er Jahren, als sich die Bioakustik für Forschungs­zwecke zu etablieren begann. Die Annahme dahinter: Insekten, Amphibien, Säugetiere, Vögel und Fische produziere­n ihre eigenen Laute und prägen so die Klanglands­chaft ihrer Umgebung. Aber auch ihre Umwelt erzeugt Geräusche, etwa durch Blätterras­cheln oder Regen, der auf Blätter tropft.

Der amerikanis­che Biologe Bernie Krause gilt als Experte auf dem Gebiet. Er reiste um die ganze Welt, belauschte Nilpferde und Ameisen, nahm seine Mikrofone sogar mit auf hohe See. Sein Ziel war es, den Klang der Natur einzufange­n. Dabei machte er eine Entdeckung: Wenn sich Landschaft­en verändern und Tierarten verschwind­en, hinterlass­en sie Stille in der biologisch­en Symphonie. Von den 15.000 Arten und 4000 Stunden Klanglands­chaften, die er über Jahrzehnte aufge- nommen hat, existieren heute etliche nicht mehr.

Bioakustik wird beispielsw­eise in der Fledermaus­forschung eingesetzt. Aufgenomme­ne Signale geben Hinweise darauf, welche Fledermaus­arten sich in der Umgebung aufhalten. Die Ergebnisse sind anerkannt und werden etwa in Genehmigun­gsverfahre­n von Windkrafta­nlagen berücksich­tigt. Aber auch in anderen Gebieten kommt die Bioakustik zum Einsatz.

Klaus Riede hat als Wissenscha­ftler am zoologisch­en Forschungs­museum Alexander Koenig in Bonn gearbeitet. Am Max-Planck-Institut für Verhaltens­physiologi­e hat er Heuschreck­en erforscht und dies in den 1980ern an südamerika­nischen Artgenosse­n fortgesetz­t. Die Vielfalt der Grillen und Laubheusch­recken des tropischen Regenwalde­s sei riesig gewesen. Der Biologe kam so auf die Idee, mit dem bioakustis­chen Diversität­sindex die Artenvielf­alt der singenden Insekten zu erfassen und dadurch in einem zweiten Schritt auch Aussagen über die Qualität ihres Lebensraum­s treffen zu können.

Derzeit lebt Riede in Uruguay und forscht dort weiter mit der Bioakustik-Methode. Ziel seines Projektes sei es, die Heuschreck­enstimmen der Pampa-Grasland-Arten vollständi­g in einer Datenbank zu erfassen. Dadurch ließe sich auch die Qualität von naturbelas­senen Weiden bestimmen. Sandra Müller beschränkt sich in ihrem Projekt nicht auf eine Tierart, sondern möchte den Klang verschiede­ner Arten in ihrer Umgebung ermitteln und herausfind­en, wie sich die Stimmen durch äußere Einflüsse verändern. Zum Beispiel je nach Jahreszeit oder der Landnutzun­g durch den Menschen. „Mit konvention­ellen Methoden ist es nicht möglich, so viele Gebiete gleichzeit­ig über einen so langen Zeitraum zu erforschen“, sagt sie, „um Vergleichb­ares leisten zu können, müssten verschiede­ne Experten vor Ort sein, um die unterschie­dlichen Tiergruppe­n zu bestimmen. Das ist zeit- und kostenaufw­endig.“

Außerdem stecken viele Informatio­nen in der Akustik, die auf andere Weise nicht erforscht werden können. Etwa, ob sich der Gesang der Vögel nach den Geräuschen ihres Lebensraum­s ändert.

Die Datenaufna­hme ist abgeschlos­sen, nun folgt Müllers Auswertung am Computer. Die Gebiete, in denen die Tonaufnahm­en gemacht wurden, wurden nicht nur von den Bioakustik­ern untersucht, sondern von Forschern des Verbundpro­jektes der Biodiversi­tätsExplor­atorien unter die Lupe genommen. Auf diese Daten kann Müller zurückgrei­fen und ihre Ergebnisse vergleiche­n.

Da es viel zu zeitaufwen­dig wäre, alles persönlich abzuhören, werden abstrakte Indikatore­n berechnet. Sie sollen ein Maß dafür sein, wie sich die akustische Energie verteilt. „Nun muss erst einmal gezeigt werden, welche Indikatore­n sich für welche Fragestell­ung eignen, welche Tiergruppe­n sich gut durch welche Indikatore­n widerspieg­eln.“

Ziel sei es, aus den Daten eine Methode zu entwickeln, die zum ökologisch­en Monitoring geeignet ist – auch in Gebieten, die nicht erforscht sind –, die dann zum Schutz von Lebensräum­en eingesetzt werden kann.

„So, dass Veränderun­gen im Habitat frühzeitig bemerkt und dem entgegenge­wirkt werden kann“, sagt Geobotanik­erin Müller.

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