Rheinische Post Viersen

Geprellter Anleger lebt jetzt von Hartz IV

Im Betrugspro­zess gegen ein Nettetaler Ehepaar wurden gestern vor dem Krefelder Landgerich­t die ersten Zeugen gehört. Sie kannten den Angeklagte­n seit Jahrzehnte­n — und verloren nach eigener Aussage hohe Summen

- VON EVA-MARIA GEEF

NETTETAL/KREFELD Die zwei Brüder haben dem Angeklagte­n stets vertraut. „Wir haben immer gute Erfahrunge­n mit S. gemacht, auch mit den Versicheru­ngen, die wir über ihn abgeschlos­sen haben“, berichtete der jüngere, Walther B. (59), in Saal 70 des Krefelder Landgerich­ts. „Wir kennen uns seit 50 Jahren.“

Das Nettetaler Ehepaar Kurt und Christa S. soll Anleger um mehrere Hunderttau­send Euro betrogen haben. Seit Ende Januar muss es sich wegen gewerbsmäß­igen Betrugs vor der Wirtschaft­skammer des Krefelder Landgerich­ts verantwort­en. Am zweiten Verhandlun­gstag wurden gestern die ersten Zeugen gehört.

Walther B. sagte aus, 2003 ein Erbe in Höhe von 80.000 Euro an Kurt S. (79) gegeben zu haben, damit dieser es gewinnbrin­gend für ihn anlege. 30.000 Euro sollten mit Zinsen in Höhe von fünf Prozent für ein Jahr angelegt werden, die restlichen 50.000 Euro für zehn Jahre mit einem Zinssatz von 7,5 Prozent. Während er die kleinere Summe nach einem Jahr wie vereinbart inklusive Zinsen zurückerha­lten habe, habe er von dem größeren Geldbetrag nichts mehr gesehen.

Auch sein Bruder, der schwer krank ist und nicht vor Gericht erschien, habe mit Kurt S. Geldgeschä­fte getätigt: „Er hat seine Hühnerfarm über den Makler von S. verkauft und 450.000 Euro erhalten. Dieses Geld sollte S. für ihn anlegen, mein Bruder wollte von den Zinsen leben“, sagte der Zeuge. Es habe geheißen, das Geld werde in Immobilien und Grundstück­e angelegt. Er erinnere sich an etwa 3000 Euro, die sein Bruder monatlich erhalten habe, der Zinssatz für seine Anlage habe sechs Prozent betragen. Ihm sei nicht bekannt, ob ein Zins- oder Tilgungspl­an existiert habe.

Während der ersten zwei Jahre sei noch Geld geflossen, dann zunächst nicht mehr. Auf Nachfrage habe Kurt S. gesagt, die Bank habe einen Fehler gemacht. „Kurz darauf kam noch mal was, dann wieder nicht“, erinnerte sich der Zeuge. Auf erneute Nachfrage habe eine Tochter der Angeklagte­n am Telefon gesagt: „Es ist nichts mehr da, wir sind pleite.“Die 450.000 Euro, die Walther B.s Bruder erhalten habe, seien seine gesamten Ersparniss­e gewesen. Heute lebe er von Hartz IV.

Erika S. (78) zeichnete ein ähnliches Bild des Angeklagte­n: „Ich kenne Kurt S. seit 57 Jahren, er ist bei meinen Schwiegere­ltern ein und aus gegangen.“Sie habe ihm einen Betrag in Höhe von 127.500 Euro anvertraut, um ihn für einen Zinssatz in Höhe von fünf Prozent – höher als der, den Banken zu diesem Zeitpunkt anboten – anzulegen. Später habe sie ihm Geld ihrer verstorben­en Mutter, 200.000 Euro in bar, gegeben. Dafür habe ihr der Angeklagte 7,5 Prozent Zinsen versproche­n.

Die Rentnerin kaufte sich damals ein Appartemen­t und wollte die Zinsen pünktlich zu den Baufortsch­ritten ausbezahlt bekommen. Dies habe auch zunächst geklappt, aber „immer nur auf Nachfrage“. Schon zu Beginn habe sie eine Sicherheit bei Kurt S. angefragt, um notarielle Unterlagen gebeten, die etwa den Ankauf eines Grundstück­s belegen sollten. Wie das Geld angelegt werden sollte, habe sie nicht gewusst. Kurt S. habe mal von der Schweiz gesprochen, ihr im Büro ein Modell gezeigt, das auf einem Seegrundst­ück seiner Frau gebaut werden sollte. Ein anderes Mal habe er ihr ein Haus im Ort angeboten. „Aber durch das Gerede im Dorf erfuhr ich, dass dieses noch nicht bezahlt sei und die Leute, die dort lebten, ein lebenslang­es Wohnrecht besaßen“, sagte sie. Warum sie Kurt S. noch eine zweite Summe anver- traut habe, wenn sie doch trotz mehrfachen Nachfragen­s keine Sicherheit­en erhalten habe, fragte der beisitzend­e Richter die Zeugin. „Das war sicher ein bisschen verrückt von mir“, antwortete sie. Sie könne sich das heute nicht erklären.

Sie habe wenig zurückerha­lten, immer nur 10.000 Euro, einmal 15.000 Euro. Als die Zahlungen ganz ausgeblieb­en seien, reichte ihr Anwalt Zivilklage ein. Eine Tochter von S. habe sie damals angerufen und gebeten, diese zurückzuzi­ehen, da sie „in einem halben Jahr aus allem raus“wären. „Aber das wollte ich nur machen, wenn ich eine notarielle Beglaubigu­ng erhalten hätte“, sagte die Zeugin. Stattdesse­n habe sie 2013 ein Schreiben des Insolvenzv­erwalters von Kurt S. mit dem Hinweis auf Schulden in Höhe von 4,5 Millionen Euro erhalten.

Im Prozess geht es auch um die Frage, wie viel Christa S. (69) wusste: Laut Zeugen war sie nicht dabei, wenn über die Geldgeschä­fte gesprochen wurde. Nur Erika S. berichtete, Kurt S. habe ihr einmal gesagt, seine Frau kümmere sich um die Auszahlung der Zinsen. Danach habe sich die Zeugin bei Nachfragen immer direkt an Christa S. gewandt.

 ?? RP-ARCHIVFOTO: SENF ?? Das Ehepaar mit seinen Anwälten Stefan Tierel und Ute Steinbrenn­er im Krefelder Landgerich­t. Kurt S. (rechts) wollte nicht, dass sein Gesicht auf dem Foto unkenntlic­h gemacht wird: „Mich kennt in Nettetal eh jeder.“
RP-ARCHIVFOTO: SENF Das Ehepaar mit seinen Anwälten Stefan Tierel und Ute Steinbrenn­er im Krefelder Landgerich­t. Kurt S. (rechts) wollte nicht, dass sein Gesicht auf dem Foto unkenntlic­h gemacht wird: „Mich kennt in Nettetal eh jeder.“

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