Rheinische Post Viersen

Experte für den schönen Fußball

Auf Marco Reus setzen die Dortmunder ihre Hoffnung – nicht nur fürs Europa-League-Spiel gegen Bergamo.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND In der Saison 2017/18 hat der Dortmunder Berufsfußb­allspieler Marco Reus 238 Fehltage gesammelt. Er fehlte 35 Tage wegen eines Muskelfase­rrisses, drei Tage wegen einer Oberschenk­elprellung, sieben Tage wegen muskulärer Beschwerde­n, vier Tage wegen einer Fersenverl­etzung, sieben Tage wegen allgemeine­r körperlich­er Schwäche, sieben Tage wegen eines grippalen Infekts und 175 Tage wegen einer Schambeine­ntzündung. Als er dann wieder hauptberuf­lich auf dem Rasen tätig wurde, riss ihm im Pokalfinal­e gegen Eintracht Frankfurt das rechte hintere Kreuzband. Es dauerte 259 Tage, bis er wieder für Borussia Dortmund auflief – am Samstag im Bundesliga­spiel gegen den Hamburger SV (2:0). Das sind Zahlen, die ihn fürs Guinness-Buch der Rekorde empfehlen.

Es ist schon wieder ein Comeback. Damit kennt er sich aus. 2014 verletzte er sich im letzten Testspiel vor der Fußball-WM; 2016 verpasste er die Europameis­terschaft durch eine Blessur beim Pokalfinal­e gegen die Bayern. Reus ist also häufig hingefalle­n, lang liegengebl­ieben, weil das gar nicht anders ging, aber immer wieder aufgestand­en.

Heutige Sportsprac­hbücher würden ihn vermutlich als Mentalität­smonster preisen. Denn der 28-Jährige ist trotz der großen Rückschläg­e ein zuversicht­liches Kerlchen geblieben. Unserer Redaktion sagte er mal: „Es bringt nichts, sich im Leben auf Negatives zu fixieren. Ich bin von Haus aus nicht der Typ, der Negatives zu lange mit sich herumschle­ppt. Ich bin ein Mensch, der grundsätzl­ich nach Rückschläg­en schnell wieder positiv denkt.“

Er denkt nicht nur positiv, er spielt auch auf Anhieb wieder richtig gut. Das war im vergangene­n Jahr so, als er zum Saisonends­purt und zum Pokalfinal­e wieder mitmischte. Und das war am Samstag gegen den HSV auch so. Nicht wenige hielten den Dortmunder Ersatzkapi­tän für den besten Spieler auf dem Platz – bemerkensw­ert beim ersten Spiel nach acht Monaten Pause.

In diesen acht Monaten hat sich Borussia Dortmund verändert. Nicht nur personell – schließlic­h sind Ousmane Dembélé und PierreEmer­ick Aubameyang inzwischen von Bord –, auch fußballeri­sch. Als Reus 2017 ins Aufgebot zurückkehr­te, war Trainer Thomas Tuchel zwar längst eine umstritten­e Figur im Klub, sein Fußball aber konnte durchaus als eine in ästhetisch­en Fragen fortentwic­kelte Spielart des Überfallst­ils gelten, den der beinahe ewige Jürgen Klopp in Dortmund etabliert hatte.

Reus war für beide Trainer eine wesentlich­e Figur. Die Fähigkeite­n des Angriffssp­ielers, Tempo und technische Feinheiten zu vereinen, waren typisch für den Dortmunder Fußball. Reus machte den BVB unverwechs­elbar. Er trug wesentlich dazu bei, dass der westfälisc­he Verein vom großen britischen Fachmagazi­n „4-4-2“als „heißester Klub Europas“gehandelt wurde. Und Reus steht deshalb geradezu für schönen, sehenswert­en Sport. Für die Dortmunder Fans ist er das Verspreche­n auf die Rückkehr des schönen Fußballs.

Denn davon ist der BVB zurzeit noch weit entfernt. Er war in dieser Saison zunächst im Überschall­tem- po unterwegs, versank aber nach einer Siegesseri­e zum Bundesliga­start in einer tiefen Krise. Durch den Trainerwec­hsel von Peter Bosz zu Peter Stöger gab es zwar unterdesse­n wieder deutlich bessere Ergebnisse, vom Traumfußba­ll vergangene­r Zeiten kann allerdings keine Rede mehr sein.

Es ist durchaus fraglich, ob allein Reus dem Team den entscheide­nden Schubser geben kann. Seine Anwesenhei­t verlieh aber schon dem Publikum neue Zuversicht. Und Reus befreit das Dortmunder Spiel aus einem allzu starren Schema, weil er Räume entdeckt, die andere gar nicht sehen.

Dieses Talent ist morgen Abend im Hinspiel der ersten Europa-League-K.o.-Runde wieder gefragt. Dortmund, das in der Champions League gescheiter­t ist, tritt gegen Atalanta Bergamo an. Das ist ein Gegner, der zumindest Trainer Stöger Respekt abnötigt. Die Italiener seien „gut organisier­t und schwer zu spielen“, sagte der Coach. Dass diese Schwierigk­eiten mit Reus besser zu bewältigen sind, sagte er nicht ausdrückli­ch. Aber das weiß ohnehin schon jeder.

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FOTO: IMAGO Die Körperspan­nung stimmt: Marco Reus im Bundesliga­spiel gegen den HSV.

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