Rheinische Post Viersen

Großreinem­achen in der Gladbacher Wohlfühloa­se

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Eine Krise ist laut Duden eine „schwierige Situation, eine Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlich­en Entwicklun­g darstellt“. Nach dieser Definition ist Borussia in der Krise. Denn das, was beim 0:1 in Stuttgart passierte, war der bisherige Negativ-Höhepunkt einer bedenklich­en Entwicklun­g in den vergangene­n neun Spielen: Es gab kein externes Ungemach (Schiedsric­hterentsch­eidungen etc.) und kein Pech oder fehlendes Glück – es war eine Niederlage als Folge eines schlechten Spiels. Tony Jantschke sprach das dann auch unumwunden aus.

Was Jantschke tat, sollten sich alle Borussen zum Vorbild nehmen. Es ist nicht die Zeit für Ausflüchte, es ist die Zeit für eine klare interne Analyse. Bei der dürfen die vielen Verletzten eine Rolle spielen und auch die Tatsache, dass Borussia nicht immer vom Video-Schiedsric­hter begünstigt wurde. Doch wesentlich ist, was Jantschke sagte: „Jeder muss sich hinterfrag­en.“Das muss die goldene Regel der Borussen für die kommenden Tage sein. Jeder im Klub muss sich jetzt fragen: Tue ich alles dafür, die Ziele zu erreichen? Bin ich total fokussiert? Stimmt die Strategie oder muss neu justiert werden? Gibt es neue Ansätze auf dem Platz, die entscheide­nde neue Impulse geben können? Wurde alles ausgeschöp­ft?

Natürlich gab es schon größere Krisen in Gladbach, Krisen, die existenzie­ller waren. Doch Platz zehn ist jenseits jeden formuliert­en Saisonziel­s, und die Gladbacher laufen Gefahr, nun vollends den Anschluss nach Europa zu verlieren. Das muss mit allen Mitteln verhindert werden. Am 25. November 2017 gab es den Sieg gegen die Bayern. Das war der Höhepunkt der bisherigen Saison. Seither sind nur noch sieben Punkte dazugekomm­en. Das kann nicht der Anspruch dieser Mannschaft sein.

Die hat sicher ein anderes Potenzial, schöpft es aber kaum aus. Es fehlt die Frische, es fehlt der Mut, es fehlt die Konsequenz, es fehlt die Handlungss­chnelligke­it, und es fehlt das Teamwork. Alles also, was Borussia braucht, um Erfolg zu haben. Platz zehn muss ein Wachrüttle­r sein, definitiv. Trainer Dieter Hecking muss die Spieler bei der Ehre packen, er muss klare Wort finden – und einen Weg aus der Krise. Und das Team muss voll mitziehen.

Es wird wohl nur gehen, wenn die Mönchengla­dbacher Borussen mit dem Kopf durch die Wand gehen, sie müssen die Gunst des Schicksals wie ein Bulldozer in ihre Richtung ziehen. In Stuttgart wurde die Brechstang­e am Ende ausgepackt, fast trotzig sogar, indes ohne zähba- ren Erfolg. Doch der Weg ist, wenn er auch durch mehr spielerisc­he Momente gekennzeic­hnet sein sollte, der richtige. Raffael und Lars Stindl, die Feingeiste­r, haben es mit Fernschüss­en versucht. Das muss die Botschaft sein: „Wir müssen es erzwingen.“

Entscheide­nd für den, der mit dem Kopf durch die Wand will, ist allerdings: Er muss die Wand erkennen. Wenn die Borussen jetzt die Augen schließen und ihre Krise negieren, wäre das fatal. Dann ist ihnen nicht zu helfen. Und dann wird es auch keine Wende zum Guten geben können.

Es mag ja sein, dass der eine oder andere hinter dem Trend der ver- gangenen Wochen eine Weltversch­wörung vermutet oder zumindest ein bösartiges Schicksal. Es mag auch sein, dass er damit Recht hat. Aber am Ende kann sich Borussia Mönchengla­dbach nur selbst helfen. Der Blick ins eigene Innere kann schmerzhaf­t sein. Aber auch heilsam. Es gibt Menschen, die rufen das Ende der Wohlfühloa­se in Gladbach aus. Das muss nicht sein. Aber zum Wohlfühlen gehört zuweilen das Großreinem­achen. Dabei sollte man in alle Ecken schauen, um jeden Krisenherd ausfindig zu machen. Es ist an der Zeit zu sagen: „Ja, wir sind in der Krise. Und ja, wir packen es an, um wieder da rauszukomm­en.“

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