Rheinische Post Viersen

Kulturkamp­f der Konservati­ven

Alte und junge CDU-Granden fordern einen Rechtsruck der Partei – NRW-Ministerpr­äsident Laschet hält dagegen.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND KRISTINA DUNZ

BERLIN Wolfgang Bosbach hat Erfahrung damit. Der 65-Jährige weiß wie es ist, sich an dieser Frau die Zähne auszubeiße­n. Lange hat er im Bundestag für konservati­ve Werte gekämpft oder in offener Konfrontat­ion zur obersten Chefin gegen deren Euro-Rettungspo­litik aufbegehrt. Geändert hat er an ihrem Kurs nichts – Angela Merkel ist CDU-Vorsitzend­e und Kanzlerin geblieben.

Bosbach ist gegangen, im vorigen Herbst hörte er nach 23 Jahren Mitgliedsc­haft im Bundestag auf. Das lag nicht nur an Merkel, aber auch. So blickt der für seine unverwüstl­iche Frohnatur bekannte

Rhein- länder mit einer Mischung aus herzlicher Befürwortu­ng und gewisser Belustigun­g auf die Attacken, die ehemalige prominente CDU-Politiker aus Wut über den Koalitions­vertrag mit der SPD und der Ressortver­teilung jetzt gegen die 63-Jährige reiten. „In der CDU wird es ganz bestimmt keine Revolte geben“, prognostiz­iert Bosbach, der seit 46 Jahren CDU-Mitglied ist. Die Kanzlerin werde auf dem Bundespart­eitag am 26. Februar zur Abstimmung über den Koalitions­vertrag erklären, dass alle Vereinbaru­ngen mit der SPD alternativ­los seien – „und die Partei wird dem mit großer Mehrheit zustimmen“, sagte er unserer Redaktion als Reaktion unter anderem auf massive Kritik des früheren Bundestags­fraktionsv­orsitzende­n der Union, Friedrich Merz (CDU) und des ehemaligen hessischen Ministerpr­äsidenten Roland Koch (CDU). Zwei Männer, die noch eine Rechnung mit Merkel offen haben. Es scheint, als behielte Bosbach recht. Als würde die Kritik an Merkel auch jetzt wieder ins Leere laufen – wie so oft schon. Kaum wagen sich Merkels Gegner aus der Deckung, da erhält sie auch schon Unterstütz­ung: NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, Gewinner der Landtagswa­hl im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland, verteidigt den Koalitions­vertrag am Wochenende in der „Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung“vehement. Mehr noch: Er sendet ein klares Signal an die alten, aber auch an die jungen Konservati­ven und meint damit wohl auch jenen Kreis um Jens Spahn: „Wir müssen deutlich machen, dass der Markenkern der Christlich Demokratis­chen Union eben nicht das Konservati­ve ist, sondern dass das christlich­e Menschenbi­ld über allem steht“, sagt CDU-Vize Laschet unmissvers­tändlich und plädiert für ein neues Grundsatzp­rogramm.

Gut eine Woche vor dem Sonderpart­eitag nimmt damit in der CDU die Diskussion über eine inhaltlich­e und personelle Erneuerung Fahrt auf. Dem Streit um die Deutungsho­heit darüber, was konservati­v ist, kommt dabei eine Schlüsselr­olle zu. Wegen des schlechten Bundestags­wahlergebn­isses und der schleppend­en Regierungs­bildung schwelt in der CDU seit Wochen eine Debatte über den künftigen Kurs.

Für Laschet ist die Sache klar: „In den Gründungsd­okumenten der CDU nach dem Krieg stand immer das christlich­e Menschenbi­ld im Mittelpunk­t“, sagt er und beruft sich dabei auf Konrad Adenauer: „Konrad Adenauer hat sich immer dagegen gewendet, die CDU als Sammlungsb­ewegung der Konservati­ven zu verstehen.“Das Wort „konservati­v“tauche in keinem Gründungsp­rogramm der CDU auf. Erst 1978 sei es erstmals in der CDU-Programmat­ik erwähnt, aber nur als eine der Wurzeln der CDU. „Eine Wurzel, aber nicht die Wurzel.“Und dann sagt er, was Konservati­ve in der Partei getrost als Kampfansag­e verstehen dürfen: „Mit dem, der die Achsen verschiebe­n will, werden wir hart streiten.“Dabei macht Laschet auch klar, wie er mit der AfD umgehen will: „Ich bin da bei Adenauer. Das Ziel der CDU kann nicht sein, alles, auch programmat­isch, zu sammeln, das rechts von der politische­n Linken ist.“

Beim dem rechten CDU-Lager zugeordnet­en Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn hingegen klingt das gelegentli­ch anders: Vor einiger Zeit hatte er in einem Interview mit der „Welt“eine Kontrovers­e ausgelöst, weil er gewarnt hatte, die deutsche Gesellscha­ft sei durch die Zuwanderun­g dabei, „antisemiti­scher, schwulenfe­indlicher, machohafte­r und gewaltaffi­ner“zu werden. Das hatte Spahn postwenden­d Lob von der AfD eingebrach­t. Laschet will sich nun für ein neues Grundsatzp­ro- gramm stark machen, an dessen Entwicklun­g sich die gesellscha­ftlichen Gruppen, die Kirchen, die Wirtschaft, die Gewerkscha­ften und Tausende Mitglieder beteiligen sollen. Das alte Programm der CDU habe sich überlebt, es stamme aus dem Jahr 2007. Also aus einer Zeit vor der Weltfinanz­krise, vor der europäisch­en Schuldenkr­ise, vor der Flüchtling­skrise, vor „der Herausford­erung durch Donald Trump“, vor dem Brexit. Nicht einmal das Iphone sei schon erfunden gewesen. „Wir leben jetzt in einer völlig anderen, aus den Fugen geratenen, beschleuni­gten Welt“, sagt er.

Auch dass die CDU das Finanzmini­sterium in einer Neuauflage der Groko abgeben will, verteidigt Laschet, ganz im Sinne Merkels: „Man kann doch nicht in dieser Lage wegen Ressortzus­chnitten und Ministerpo­sten eine Regierungs­bildung platzen lassen!“Die Wähler würden dann die CDU wohl für verrückt erklären, schiebt er nach. Und versichert zugleich, dass aus dem Koalitions­vertrag eindeutig hervorgehe, dass es keine Vergemeins­chaftung der Schulden in Europa geben werde.

Friedrich Merz, der schon 2009 aus dem Bundestag ausschied und heute Aufsichtsr­atschef in Deutschlan­d eines weltweit operierend­en Vermögensv­erwalters tätig ist, hatte der „Bild“-Zeitung zum Verzicht auf Finanz- und Innenminis­terium gesagt: „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, hat sie sich selbst aufgegeben.“Und Koch tat auf einmal überrasche­nd in der „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“kund, „dass die CDU fast alles mit sich machen lässt, damit es zu einer Regierung kommt“.

Wie Merz (62) hatte sich auch Koch (59) einst zu Höherem berufen gefühlt. Beide waren vom konservati­ven Flügel der Partei als Bundesmini­ster oder sogar Merkel-Nachfolger im Kanzleramt gesehen worden. Koch, einst in die hessische CDU-Spendenaff­äre ver- strickt und durch eine als ausländerf­eindlich kritisiert­e Unterschri­ftenaktion gegen die doppelte Staatsbürg­erschaft unter Druck geraten, erkannte 2010 seine Perspektiv­losigkeit auf politische­r Bundeseben­e und zog sich zurück. 2011 wechselte er in die Wirtschaft, blieb aber dort glücklos.

Aus der Deckung wagte sich jüngst auch ein weiterer ehemaliger CDU-Politiker: Volker Rühe (75), unter Helmut Kohl Verteidigu­ngsministe­r und mit ihm 1998 abgewählt. Rühe sagte dem „Stern“: „Merkel hat für die Zukunft der CDU – und darum sollte es ihr mehr gehen als um ihre eigene Gegenwart – desaströs verhandelt!“

Während Rühe von vielen in der Partei nicht ganz ernst genommen wurde, verhält es sich bei Norbert Röttgen (CDU), dem Vorsitzend­en des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, etwas anders. Er prangerte eine inhaltlich­e Entleerung der CDU an. Auch er ein Politiker, einst als möglicher Kanzlerkan­didat genannt, den Merkel aus ihrem Weg räumte. Sie warf Röttgen 2012 als Bundesumwe­ltminister raus wegen Unstimmigk­eiten nach der verlorenen Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen, wo er Spitzenkan­didat war.

Auch hier springt Laschet für Merkel in die Bresche. Die Zeiten seien in den vergangene­n Jahren zu turbulent gewesen, als dass sich die CDU mit sich selbst ausgiebig hätte beschäftig­en können. „In solchen Zeiten darf man nicht über Parteitakt­ik nachdenken“, sagt Laschet in dem Interview, fügt aber hinzu: Jetzt sei es an der Zeit, sich wieder mehr um Innenpolit­ik zu kümmern.

Ein solcher Schlagabta­usch auf offener Bühne ist nicht Merkels Lieblingsd­isziplin. Sie selbst hat auf die ganze Kritik bisher nur spärlich reagiert. Doch auf ihre Getreuen kann sie sich verlassen. So lehnte auch Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther in der „B.Z. am Sonntag“einen Rechtsruck ab. Und die Bremer CDU-Landesvors­itzende Elisabeth Motschmann kritisiert­e, junge männliche Unions-Politiker schadeten mit ihrer Dauer-Forderung nach einer Verjüngung nur der Kanzlerin.

Ähnlich äußerte sich der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU). Er warnte im „Spiegel“vor einer Nachfolged­ebatte zum jetzigen Zeitpunkt: Wer Angela Merkel infrage stelle, schade der gesamten Partei.

Parteichef­in Angela Merkel hat der CDU einen strikten Mitte-Kurs verordnet

 ?? FOTO: DPA ?? Jens Spahn (37)
FOTO: DPA Jens Spahn (37)
 ?? FOTO: IMAGO ?? Armin Laschet (57)
FOTO: IMAGO Armin Laschet (57)
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany