Rheinische Post Viersen

Aufstand gegen Groschek

In einem offenen Brief stellen sich rund 100 NRW-Genossen gegen die Groko – und damit auch gegen den SPD-Landeschef. Auf der Regionalko­nferenz in Kamen geht es zeitweise hoch her.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

KAMEN Andrea Nahles und Michael Groschek wissen, dass es heute besonders schwer wird. „Ich rechne hier mit intensiven Debatten, vielen kritischen Stimmen“, sagt die designiert­e SPD-Vorsitzend­e und fügt hinzu, als wolle sie sich selbst Mut zusprechen: „Aber man kann auch hier etwas heraushole­n.“Es gehe nicht darum, die Leute auf der Regionalko­nferenz zu überreden, sondern sie zu überzeugen. Landeschef Groschek hingegen kann sich eine kritische Bemerkung nicht verkneifen: „Manche tanzen auf Tischen und Bänken.“Das sei besser, als wenn Grabesstil­le herrsche.

Davon kann zurzeit bei der SPD, insbesonde­re in NRW, keine Rede sein. Ausgerechn­et in der einstigen Herzkammer der Sozialdemo­kratie, mitten im Ruhrgebiet, ist der Widerstand gegen eine Neuauflage der Groko groß. In NRW sind es längst nicht nur die Jusos, die sich gegen ein neues Bündnis mit der Union sperren – der Riss geht quer durch die Partei. Und neuerdings auch quer durch den Landesvors­tand.

Kurz vor Beginn der Konferenz in Kamen kursiert auf einmal ein offener Brief von Groko-Gegnern. Unter den Unterzeich­nern sind viele prominente NRW-Genossen: Ex-Arbeitsmin­ister Rainer Schmeltzer zum Beispiel. Oder der frühere Justizmini­ster Thomas Kutschaty, stellvertr­etender Fraktionsc­hef im Landtag. Auch der finanzpoli­tische Sprecher Stefan Zimkeit ist darunter sowie Groscheks eigener Sohn, der sich bei den Jusos engagiert. Damit nicht genug: Sogar Britta Altenkamp, Groscheks Stellvertr­eterin, und andere Mitglieder des Landesvors­tands positionie­ren sich nun öffentlich gegen die Groko.

Der Brief mit der Überschrif­t „Eine neue Zeit braucht eine neue Politik“ist lang, die Kritikpunk­te sind zahlreich: Eine erneute Groko werde die politische­n Ränder stärken, es gebe auch bei einem Nein keinen Automatism­us für Neuwahlen, eine Minderheit­sregierung bleibe eine Option. Außerdem sende der Koalitions­vertrag ein Signal des „Weiter so“und erfülle nicht die Mindestanf­orderungen, etwa hinsichtli­ch Bürgervers­icherung, sach- grundlosen Befristung­en und Familienna­chzug. Und dann bringen die Groko-Gegner eine Sorge vor, die auch die Genossen an diesem Sonntagvor­mittag in der Kamener Stadthalle umtreibt wie keine andere: die Glaubwürdi­gkeit der Partei. Nach dem Aus der Jamaika-Gespräche habe die SPD ihre Ablehnung einer Groko noch einmal bekräftigt: Jetzt sei es an jedem einzelnen, zu beweisen, dass die Partei zu ihrem Wort auch stehe, heißt es in dem Brief.

Auch Norbert Spinrath hat so seine Zweifel. Der ehemalige Bundestags­abgeordnet­e aus dem Kreis Heinsberg ist skeptisch, ob sich all die Punkte, die die SPD in den Koalitions­verhandlun­gen herausgeho­lt hat, in einer Groko umsetzen ließen. Er tendiert zurzeit zum Nein. 2013, da sei er noch für die Groko gewesen, sagt Spinrath.

Doch die Erfahrunge­n mit der Union haben ihn ernüchtert. Zu viele Punkte habe die SPD am Ende in Berlin dann doch nicht umsetzen können. Auf der anderen Seite würde die SPD aus seiner Sicht bei Neuwahlen auch nicht besser dastehen. „Der Kopf sagt ja, der Bauch sagt nein“, bringt er seine Stimmungsl­age auf den Punkt.

Wie Spinrath denken hier in Kamen viele. Am Eingang bekommt jeder drei rote Klebepunkt­e. An einem Schwarzen Brett soll er sie so verteilen, dass deutlich wird, welche Frage ihn am meisten bewegt. Das Ergebnis ist eindeutig: Die meisten fürchten um die Zukunft ihrer Partei, um das eigene Profil und die Fähigkeit, sich in einer Groko zu erneuern. Entspreche­nd angespannt ist die Stimmung im Saal. Nach Berichten von Teilnehmer­n – die Öffentlich­keit ist ausgeschlo­ssen – gehen mit so manchem gerade am Anfang die Emotionen durch.

Die Groko-Gegner seien auf dem Podium unterreprä­sentiert, kritisiere­n die einen. Andere werfen der SPD-Spitze die Personalqu­erelen der vergangene­n Tage vor. Erst als die Genossen stehend an Gruppentis­chen mit Nahles, Groschek und dem kommissari­schen Parteichef Olaf Scholz diskutiere­n können, beruhigen sich die Gemüter. Ob es am Ende für ein Ja reicht? Darauf mag hier kaum einer wetten. Für Spinrath steht fest: „Es wird knapp.“

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FOTO: DPA Punktsieg für die Groko-Gegner? Am „Schwarzen Brett“in Kamen sollen die SPDler ihre Meinung abgeben.

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