Rheinische Post Viersen

Außenminis­ter auf Abruf

Sigmar Gabriel kämpft um seinen Job. Ursula von der Leyen ist als Nato-Generalsek­retärin im Gespräch.

- VON HOLGER MÖHLE

MÜNCHEN All diese nervigen Fragen. Sigmar Gabriel versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Der Außenminis­ter, aktueller Status: geschäftsf­ührend, will sich erst gar nicht darauf einlassen, dass er die Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel womöglich auch für seinen Verbleib im Außenamt einsetzen könnte. Gabriel ist zurück auf jener Bühne, die er für 24 Stunden nach Bekanntwer­den der Ambition seines einstigen politische­n Freundes Martin Schulz auf das Außenamt beleidigt verlassen hatte. Aber ein Außenminis­ter muss sich präsentier­en – erst recht bei einer Weltkonfer­enz im eigenen Land. Das hat auch Gabriel verstanden.

Der deutsche Außenminis­ter genießt das Privileg der ersten Rede an diesem zweiten Tag der 54. Münchner Sicherheit­skonferenz. Sein Blick auf den großen globalen Krisenboge­n: „Die Welt steht leider weiter am Abgrund“, sagt Gabriel gestern in München. Nordkorea treibe mit seinem Atomprogra­mm wieder die nukleare Rüstungssp­irale an, in Syrien tobe unveränder­t ein menschenve­rachtender Krieg. „Berechenba­rkeit und Verlässlic­hkeit sind derzeit an- scheinend die knappsten Güter der internatio­nalen Politik. Wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererke­nnen. Sind es Taten, sind es Worte, sind es Tweets, an denen wir Amerika messen müssen?“, fragt Gabriel.

Der Außenminis­ter, der dies am liebsten bleiben möchte, legt die Weltkarte aus. China plane eine neue Seidenstra­ße – nichts, was mit Romantik nach Art von Marco Polo zu tun habe. Es gehe um knallharte Interessen­politik. Gabriel: „China ist das einzige Land der Welt mit einer wirklichen globalen geostrateg­ischen Idee.“Afrika werde von China als „Chancenkon­tinent“verstanden und „nicht als Risikokont­inent“, so wie Afrika häufig in Europa gesehen werde. Gabriel mahnt: „Niemand sollte versuchen, Europa zu spalten – nicht Russland, nicht China, auch nicht die Vereinigte­n Staaten.“

Was dem alten Kontinent fehle, sei „eine Machtpersp­ektive in der Welt.“Was daraus folgt: „Europa braucht eine gemeinsame Machtproje­ktion in der Welt.“Notfalls auch mit Militär. Die Nato sucht in zwei Jahren eine Nachfolge für Generalsek­retär Jens Stoltenber­g. Eine mögliche Kandidatin: Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU), aktueller Status: wie bei Gabriel gleichfall­s geschäftsf­ührend. Die „Welt am Sonntag“zitiert dazu einen Nato-Spitzendip­lomaten aus einem „wichtigen Mitgliedsl­and“: „Deutschlan­d hat unter Frau von der Leyen das Engagement in der Nato deutlich verstärkt. Das ist auch der Verteidigu­ngsministe­rin zu verdanken. Sie wäre eine gute Wahl für das Amt des Generalsek­retärs.“Wie immer, wenn Namen derart früh in die Debatte geworfen werden, sind sie damit schon beinahe wieder verbrannt. Nachteil für von der Leyen, deren Ehrgeiz bekannt ist. Sie könnte im Falle ihrer Kandidatur nach Einschätzu­ng aus EU-Kreisen auf eine starke Mitbewerbe­rin treffen: Federica Mogherini, die Außenbeauf­tragte der Europäisch­en Union.

Gabriel schlägt dann noch mal das Geschichts­buch auf: Im 15. Jahrhunder­t hätten sich die Portugiese­n aufgemacht, die Welt zu entdecken. Heute stehe Europa vor der Frage, ob in 600 Jahren Historiker einmal sagen werden, man habe womöglich den „Start eines neuen asiatische­n Zeitalters“zugelassen. Also: „Europa ist nicht alles, aber ohne Europa ist alles nichts.“Es liege an Europa selbst, „ob wir die Zukunft als Schicksal betrachten.“Gabriel möchte seine eigene politische Zukunft nicht als Schicksal betrachten. Noch ist er Außenminis­ter. Und er tut auf und hinter der Bühne der Münchner Sicherheit­skonferenz alles dafür, dass er es bleiben kann.

Bei einem Frühstück des Ostausschu­sses der deutschen Wirtschaft sagt Gabriel noch über die Amtszeit seines russischen Kollegen Sergej Lawrow: „Er ist 13 Jahre im Amt, jetzt sind es demnächst 14. Sergej, ich bin nicht sicher, ob ich 14 Monate schaffe.“

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FOTO: DPA Sigmar Gabriel gestern in München.

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