Rheinische Post Viersen

Besonnen bleiben und den Plural verdienen

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Wieder gewonnen und alles gut im Staate Borussia? Das wäre zu einfach gedacht, denn ein Sieg macht noch keine Trendwende. Es braucht schon eine kleine Serie, um sich zu re-stabilisie­ren im Rennen um die Europa-Plätze. Und genau genommen wurde das Kardinalpr­oblem der vergangene­n Wochen durch das 1:0 in Hannover auch noch nicht wirklich behoben: das Torproblem der Angreifer. Das Siegtor erzielte ein Defensiver, Christoph Kramer, der Sechser. Die, deren Hauptjob es ist, das Runde ins Eckige zu befördern, sind weiter enthaltsam: Lars Stindl, Thorgan Hazard, Raúl Bobadilla, Jonas Hofmann, Patrick Herrmann oder Vincenzo Grifo, die alle- samt in Hannover mehr oder weniger lange mitwirkten.

Trotzdem bleibt festzuhalt­en, dass sich die Borussen aus der Abteilung Attacke nicht demotivier­en lassen von der entzogenen Zuneigung des Schicksals, sie versuchen es weiter und weiter und weiter. Die Beharrlich­keit wird sich auszahlen, ganz sicher, alles andere wäre abstrus. Die Nerven jedenfalls scheint keiner in Gladbach zu verlieren, auch wenn sie vor dem Tor zu oft flattern – und genau das ist die Stärke des Konstrukts, das in den vergangene­n Jahren aufgebaut wurde. „Man muss auch mal durch eine Krise gehen“, sagte Manager Max Eberl gestern in der Talksendun­g „Wontorra“. Da ist ein gesundes Vertrau- en in die eigene Stärke, da werden Details geändert, aber nicht alles über den Haufen geworfen. Realismus und Ruhe statt Aktionismu­s, damit sind die Borussen in den vergangene­n Jahren alles in allem gut gefahren.

Das 1:0 in Hannover gibt den Borussen Recht. Sie haben den vielzitier­ten Bock umgestoßen. Der Wille, das zu tun, war spürbar, auch wenn es im Spiel zunächst eigentlich lief wie in den Wochen zuvor, als ebenfalls tolle Chancen verschwend­et wurden. Es war ganz sicher nicht brillant, was auf dem Rasen passierte, auch wenn gerade vor der Pause einige Kombinatio­nen leicht vom Fuß gingen. Aber die Borussen machten in diesem Spiel in den ent- scheidende­n Situatione­n das Richtige. Dass nach vier verlorenen Spielen zuvor in Hannover allein das Ergebnis zählte, liegt auf der Hand. Nun geht es darum, aus diesem 1:0Erfolg etwas zu modelliere­n, das die Borussen richtig zurück in die Spur bringt. Denn das, was in den letzten vier Wochen verpasst wurde, muss noch nachgeholt werden.

Entscheide­nd ist, auch nach diesem Erfolg besonnen zu bleiben und den Sieg in Hannover richtig einzuordne­n. Die Borussen müssen sich klar machen, dass es am Samstag auch hätte anders laufen können, ganz dumm nämlich, wenn Ihlas Bebou seine extrem gute Kopfballch­ance genutzt hätte. Darauf hat Hecking hingewiese­n – und wäre es so gekommen, dann wäre die Situation eine ganz, ganz andere, das weiß der Trainer. Dann wäre unten näher gewesen als oben. Die Botschaft von fünf Niederlage­n am Stück, die es dann gewesen wären, wäre dann eine sehr düstere gewesen.

Aber die Geschichte mit der Niederlage­nserie ist jetzt durch und die Borussen haben neben drei Punkten die Gewissheit aus Niedersach­sen mitgebrach­t, dass sie das Wesentlich­e im Fußball noch beherrsche­n: ein Tor zu schießen und ein Spiel zu gewinnen. Noch bleiben das Tor und der Sieg im Singular. Den Plural muss sich Gladbach erst wieder verdienen.

Karsten Kellermann

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