Rheinische Post Viersen

Ja ohne Jubel

Die SPD bleibt trotz ihres miesen Ergebnisse­s bei der Bundestags­wahl an der Macht. Zwei Drittel der Mitglieder stimmen für die große Koalition. Aber von Freude ist bei den Sozialdemo­kraten nach der Entscheidu­ng keine Spur.

- VON JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ

BERLIN Es wirkt gespenstis­ch. SPDSchatzm­eister Dietmar Nietan verkündet die Zahlen, auf die die Republik und auch Europa und vielleicht sogar die Welt gespannt warten. Zahlreiche Helfer, die die ganze Nacht Briefe geöffnet und sortiert haben, schauen zu. Selten hat die SPD-Zentrale so viele Journalist­en aus dem In- und Ausland im Haus. Nietan sagt mit fester Stimme: 239.604 Mitglieder haben mit Ja gestimmt und 123.329 mit Nein. Stille. Übergangsp­arteichef Olaf Scholz stellt ohne jede Regung fest, dass die SPD nun in eine neue Regierung eintritt. Immer noch Stille. Kein Lächeln, kein Aufatmen, kein Beifall. Als wäre etwas Schlimmes passiert.

Dabei kommen die Sozialdemo­kraten trotz ihres historisch schlechtes­ten Ergebnisse­s bei der Bundestags­wahl am 24. September wieder an die Macht. In diesem großen Moment im Willy-Brandt-Haus will die Parteiführ­ung aber alles vermeiden, was nach Triumphgeh­eul aussieht. Die Verlierer bei dieser Ab- stimmung, die Gegner der Fortsetzun­g der großen Koalition, die Jungsozial­isten mit ihrem so frisch und konsequent auftretend­en neuen Vorsitzend­en Kevin Kühnert, sollen nicht provoziert werden. Da muss Scholz dann zum Freuen in den Keller gehen. Ist aber auch kein Problem für den 59-Jährigen. Er ist kein Mann der Emotionen. Schon in seiner Zeit als SPD-Generalsek­retär vor 15 Jahren wurde er „Scholzomat“genannt. Einer, der einfach funktionie­rt.

Scholz soll im neuen Kabinett Finanzmini­ster werden. Über die Ministerin­nen und Minister der SPD spricht er jetzt aber nicht. Noch so eine Verabredun­g. Nicht gleich wieder über Posten reden, zumal diese noch nicht endgültig verteilt sind. Das ging bei der Vorstellun­g des mühsam ausgehande­lten Koalitions­vertrags mit CDU und CSU Anfang Februar nach hinten los. Zwei Tage später war die Karriere von Martin Schulz als SPD-Chef und designiert­er Außenminis­ter beendet. Der ist immerhin froh, dass die Mitglieder Ja gesagt haben, wie er es die „Süddeutsch­e Zeitung“wissen lässt. Wochenlang hat die SPD-Führung gebangt, dass die von den Jusos angestreng­te No-Groko-Kampagne bei den Mitglieder­n verfangen könnte. Tausende Menschen traten extra in die Partei ein, um beim Mitglieder­votum mit Nein zu stimmen. Beim Sonderpart­eitag in Bonn am 21. Januar kam nur mit Mühe eine Mehrheit von rund 56 Prozent der Delegierte­n zustande – und das wohl nur, weil SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles ordentlich auf den Putz gehauen hatte. Die Bürger würden der SPD bei einer Neuwahl einen Vogel zeigen, hatte sie gewarnt. Die aktuellen Umfragewer­te der SPD liegen deutlich unter 20 Prozent.

Fünf Monate, das ist Rekord. Noch nie hat eine Regierungs­bildung in Deutschlan­d so lange gedauert. Den ersten Anlauf zu einer Jamaika-Koalition ließ die FDP im November platzen. Die Union – und auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, früher SPD-Außenminis­ter – riefen nach der SPD, die überhaupt nicht regieren wollte. Je- denfalls hatte Schulz zweimal unter Beifall der Genossen versproche­n, keine Regierung mit Angela Merkel einzugehen – und selbst auch nicht in ein Kabinett unter ihrer Führung zu gehen. Dann kamen zwei Kehrtwende­n: Die SPD handelte einen Koalitions­vertrag aus, und Schulz, der frühere EU-Parlaments­präsident, wollte Außenminis­ter werden. Das war für die Partei zu viel. Sie begehrte auf. Schulz musste gehen.

Scholz sagt, das Ja der Mitglieder zur großen Koalition gebe der Partei nun Kraft für eine Erneuerung. Die SPD sei mit ihrem Findungspr­ozess in den vergangene­n Wochen weiter zusammenge­wachsen. Das sehen die Kritiker ganz anders. Ein Drittel – eben 123.329 Mitglieder – stimmte gegen eine Regierungs­beteiligun­g der SPD, obwohl die Führung einen Koalitions­vertrag mit sozialdemo­kratischer Handschrif­t ausgehande­lt hat und sechs Ministerie­n, darunter das Außen-, das Finanz- und das Arbeitsmin­isterium, bekommt. Und das alles mit einem Wahlergebn­is von nur 20,5 Prozent.

Für Merkel war es schwer, ihrer CDU zu erklären, dass sie zwar Wahlsieger­in ist, aber in den Verhandlun­gen oft klein beigeben musste. Die Autorität der Kanzlerin und CDU-Chefin wurde infrage gestellt, gar über Merkels Nachfolge debattiert und spekuliert. Aber als der CDU-Parteitag vor einer Woche dann über den Koalitions­vertrag abstimmte, hoben nur 27 von rund 800 Delegierte­n die Hand, um Nein zu sagen. Das ist der Unterschie­d zur SPD. Wenn es zum Schwur kommt, rückt die CDU wieder zusammen. Sie will nur eins: regieren. Die Union versprüht deswegen auch Freude und Erleichter­ung über das Ja der SPD. CDU-Vize Julia Klöckner lobt: „Das ist in dieser Situation das einzig Richtige und Verantwort­ungsvolle.“

Für Kühnert ist das einzig Richtige jetzt die Erneuerung trotz Regierung. Er will der Partei „aufs Dach steigen“und eine „grundlegen­d andere politische Kultur“.

Wie es der SPD jetzt am Anfang ihrer dritten großen Koalition unter Merkel geht, bringt die stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Malu Dreyer so auf den Punkt: „Es ist am Ende dann auch eine wirkliche Zweckentsc­heidung geworden.“Das erklärt auch die bizarre Stimmung im Willy-Brandt-Haus im Moment der Verkündung. Dreyer sagt, es gebe eben „wenig Leidenscha­ft“.

Mit der Zustimmung zur großen Koalition kommt auf die SPD-Führung ein Spagat zu. Sie muss trotz Regierungs­verantwort­ung die Erneuerung vorantreib­en. Weiterhin im Nacken hat sie Juso-Chef Kevin Kühnert.

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FOTO: IMAGO Der SPD-Vorsitzend­e Olaf Scholz (r.) und Schatzmeis­ter Dietmar Nietan bei der Verkündung des Ergebnisse­s im Willy-Brandt-Haus.

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