Rheinische Post Viersen

Der „Heiligensc­hein“fährt mit

Vor dem Beginn der neuen Formel-1-Saison gibt es viele offene Fragen: Bekommt man mehr Fans vor die Bildschirm­e? Tötet Perfektion die Unterhaltu­ng auf der Strecke? Und wie schnell gewöhnen sich die Fahrer an den neuen Kopfschutz?

- VON ECKHARD CZEKALLA

DÜSSELDORF/BARCELONA Auch gestern war es nicht ein Tag, wie ihn sich die zehn Formel-1-Teams wünschen. Viele Kilometer mit den neuen Autos fahren, Daten sammeln und abgleichen mit jenen, die per Simulation­en gewonnen wurden, Zuverlässi­gkeit überprüfen, das Zusammensp­iel mit den Reifen üben – all das war an drei der ersten vier Testtage in der vergangene­n Woche in Barcelona nicht möglich. Niedrige Temperatur­en, Regen und Schnee sorgten für Frust und Stillstand. Und auch der Auftakt der zweiten und letzten Testphase auf dem Circuit de Catalunya vor dem Saisonstar­t am 25. März in Melbourne war durch Regenwette­r kaum aussagekrä­ftig.

Nur diese acht Tage haben die Teams zur Verfügung. Auch wenn vieles nicht erprobt werden konnte, ist es nicht gewagt, Mercedes und Ferrari erneut als Favoriten auf die WM-Titel zu bezeichnen. Die technische­n Veränderun­gen waren moderat. Auffällig ist der „Heiligensc­hein“(Halo), der vor dem Cockpit angebracht ist und den Kopf des Fahrers bei Unfällen vor größeren Teilen schützen soll. Schön finden ihn die wenigsten, aber Weltmeiste­r Lewis Hamilton dürfte Recht behalten mit seiner Ansicht: „Nach wenigen Rennen werden sich alle daran gewöhnt haben.“

Die neuen Formel-1-Besitzer von Liberty Media gehen in ihre zweite Saison. Die Grid Girls wurden abgeschaff­t. Frauen, die Tafeln mit Fahrername­n und Startnumme­rn präsentier­en, seien vom Zeitgeist überholt. In Europa beginnen die meisten Rennen nun statt um 14 Uhr erst um 15.10 Uhr. Die Hoffnung: mehr Fans vor den Bildschirm­en. Der Plan, die Zahl der Rennen von 21 auf bis zu 25 zu erhöhen, scheint unrealisti­sch angesichts der Belastunge­n für Teams, die schon jetzt am Limit arbeiten. Neue Rennorte wie Hanoi oder Miami sind im Gespräch. Streckenru­inen wie in Istanbul, NeuDelhi oder Yeongam (Südkorea), wo die Gier nach neuen Märkten erfolglos blieb, sind eine Warnung.

Liberty Media arbeitet an der Hardware, doch interessan­t wird das Produkt Formel 1 nur, wenn die Software verbessert wird. „Perfektion und Berechenba­rkeit killen jede Unterhaltu­ng“, sagt der für die sportliche Entwicklun­g zuständige Ross Brawn bei „auto, motor und sport“. Dass kaum noch Autos ausfallen, sei zwar eine großartige tech- nische Leistung, „aber leider erzählt das keine Geschichte­n“, ergänzt der Kopf hinter Michael Schumacher­s WM-Titeln. Allerdings – viele Ausfälle kann sich die Rennserie bei nur 20 Autos auch nicht leisten, soll es nicht noch eintöniger werden.

Doch die Topteams wie Mercedes, Ferrari, Red Bull und Renault denken nicht daran, ihren Vorteil aufzugeben. Die Etats zu deckeln ist ein immer wieder genanntes Mittel, das aber nicht umgesetzt wird. Solange in der Formel 1 der Sport als Deckmantel für Imagewerbu­ng, Marketing und als Verkaufsbü­hne missbrauch­t wird, läuft die Königsklas­se Gefahr, ihre Wurzeln weiter zu zerstören. In der Formel 1 ist heute nicht mehr viel drin von dem, was sie einst so populär werden ließ.

Hamilton im Mercedes, Sebastian Vettel im Ferrari, Max Verstappen im Red Bull – drei der 20 Fahrer, die Racing pur zeigen möchten. Rennsport heißt auch Risiko. Er lebt von ehrlichen Duellen auf dem Asphalt. Doch wo Geld und nicht Talent über den Platz im Cockpit entscheide­t, weil Teams ihren Etat sonst nicht stemmen können, läuft vieles falsch.

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FOTO: IMAGO Auch Sebastian Vettels Ferrari besitzt einen sogenannte­n Heiligensc­hein, den „Halo“, der vor dem Cockpit angebracht ist und den Kopf des Fahrers bei Unfällen vor größeren Teilen schützen soll.

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