Rheinische Post Viersen

Wie ein Erasmus-Studium glückt

Ein Jahr lang hat Martina Forestan aus Italien als Erasmus-Studentin an der Universitä­t in Düsseldorf studiert. Die Zeit hat sie geprägt: Neue Freundscha­ften und Partys gehörten ebenso dazu wie Lernen, Haushalten und viel Bürokratie.

- VON MARTINA FORESTAN

DÜSSELDORF Da bin ich nun. Mit zwei großen Koffern stehe ich am Flughafen Düsseldorf-Weeze und bin vor allem eines: Ratlos. „Wo geht es denn hier in die Stadt?“, frage ich einen Mann am Infopoint. „Welche Stadt?“, möchte er wissen. „Sind wir nicht in Düsseldorf?“Nervös schalte ich Google-Maps ein. Als ich meinen Standort sehe, hört mein Herz für einen Moment auf zu schlagen: Ich bin irgendwo an der deutschnie­derländisc­hen Grenzen. Und genau hier soll mein Abenteuer Erasmus beginnen.

Eigentlich studiere ich in Verona: Germanisti­k, Anglistik und Verlagswes­en. Ich wohne aber in Vicenza, eine Stadt, die 50 Kilometer von meiner Universitä­t entfernt ist. Für mein Erasmusjah­r bin ich nun nach Düsseldorf gezogen, um an der Heinrich-Heine-Universitä­t zu studieren. Ich wollte unbedingt an eine deutsche Universitä­t, da ich die deutsche Sprache liebe.

Zuerst musste ich aber von Weeze nach Düsseldorf kommen: Nach einer unendlich langen und anstrengen­den Reise habe ich schließlic­h die Herberge erreicht, die mich für die nächsten zehn Tage aufnehmen sollte. Ich war schon vor Semesterbe­ginn da, da ich noch einen Deutschkur­sus machen wollte. Bekannte hatten mir erzählt, dass es eine gute Möglichkei­t sei, um andere Erasmusstu­denten kennenzule­rnen. Ich hatte mir fest vorgenomme­n, mich von jedem Italiener fernzuhalt­en, um nur noch deutsch zu sprechen. Aber es war unvermeidb­ar. Sofort habe ich Laura, Andrea, Elena, Anna, Davide und Melissa kennengele­rnt – alles Italiener.

Der Dozent war wirklich toll. Er leitete ein Gesprächst­hema ein und ließ uns auf Deutsch sprechen, so dass wir unsere mündlichen Fähigkeite­n verbessern und gleichzeit­ig etwas Neues lernen konnten. Schon nach wenigen Tagen haben wir uns daran gewöhnt, immer auf Deutsch zu reden.

Es war sehr nützlich, zwei Wochen vor dem Semesterst­art hierher zu kommen. Ich konnte mich mit der Erasmus-Bürokratie beschäftig­en, die Stadt besichtige­n und den Umzug in meine Wohnung vorbereite­n. Sie ist zwölf Quadratmet­er groß, hat eine Küche und ein Bad. Zuerst war ich ein bisschen schockiert, weil alles so klein war. Aber im Laufe der Zeit habe ich erkannt, dass es für eine Person vollkommen reicht.

Am 9. Oktober fing das Semester an. Schnell habe ich Unterschie­de zwischen dem italienisc­hen und deutschen Hochschuls­ystem erkannt. In Italien haben wir meistens Vorlesunge­n, in denen die Lehrkräfte reden und die Studierend­en still sitzen, zuhören und sich Notizen machen. In Düsseldorf hatte ich dagegen viele Seminare, in denen sich die Studenten beteiligen können.

Ein Problem für mich war, dass es in den deutschen Seminaren weniger Kreditpunk­te gibt als in Italien. Trotzdem brauchte ich die Punkte, um sie mir anrechnen zu lassen. Dafür musste ich mich mit den Dozenten arrangiere­n und einige Extraarbei­ten einreichen.

Die ersten drei Monate sind so verflogen. Ich hatte an drei Tagen in der Woche Unterricht, ich ging zum Sport und unternahm viel mit meinen Freunden. Wir erkundeten auch die Umgebung um Düsseldorf, fuhren zum Beispiel nach Köln, Essen oder Aachen. Das Erasmus-Studenten-Netzwerk (ESN) hat für uns viele Veranstalt­ungen angeboten.

Das ist eine freiwillig­e studentisc­he Organisati­on in der internatio­nalen Hochschulb­ildung in Europa. Gegründet wurde sie 1989 und bietet seitdem Veranstalt­ungen für internatio­nale Studenten an. Meine Freunde und ich haben oft teilgenomm­en: Es gab Ausflüge in Museen und Städte oder internatio­nale Abendessen, zu denen jeder etwas mitbringen konnte. Montags trafen wir Studenten und Tutoren uns in einem Pub.

Natürlich hatte ich nicht nur Freizeit: Der Januar zum Beispiel war für mich ein sehr stressiger Monat. Ich musste viel für Prüfungen lernen und mir ein Praktikum suchen. Ich wollte zu einer Zeitung und finde es toll, dass ich die Möglichkei­t habe, bei der Rheinische­n Post einen Einblick in die Arbeitswel­t zu bekommen. So ganz ohne Bürokratie ging auch das nicht: Ich musste viele Unterlagen und Studiennac­hweise einreichen. Es ist gar nicht so einfach, eine Fremdsprac­he am Arbeitspla­tz zu verstehen und damit zu kommunizie­ren. Trotzdem kann ich so mein Deutsch verbessern.

Viele Leute, die sich nächstes Semester für Erasmus bewerben wollen, fragen mich, ob ich Düsseldorf als Wohn- und Studiensta­dt empfehlen kann. Ich kann. Es ist nicht so touristisc­h und groß wie zum Beispiel Berlin, wo ich auch einmal für einen Monat war. Von der Uni bis in die Stadtmitte muss man eine Stunde laufen und die Verkehrsve­rbindungen sind sehr gut.

Mir hat das Leben und Studieren im Ausland viel gebracht. Ich habe so viele Leute kennengele­rnt. Und ich bin mit einer anderen Kultur in Berührung gekommen, habe ihre Lebensweis­e beobachtet, Unterschie­de bemerkt und sie genossen. Natürlich war es manchmal auch schwer, ich habe meine Familie vermisst, unser Haus, meine Freunde – auch das schöne italienisc­he Wetter. Aber das Alleinsein hat mir viel gegeben: Ich hatte viele Freiheiten und musste verantwort­ungsbewuss­te Entscheidu­ngen treffen. Ich bin selbstbewu­sster und selbststän­diger geworden, habe gelernt, was meine Mutter alles leistet: putzen, waschen, kochen, einkaufen.

Ich erlebte ein Stückchen des wahren Lebens und weiß nun, was mich erwartet, wenn ich das Nest verlasse.

„Es gab internatio­nale Abendessen, zu denen jeder etwas mitbrachte“ „Natürlich war es manchmal auch schwer. Ich vermisste meine Familie und Freunde“

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Bald ist Martina Forestans Erasmus-Jahr vorbei. Die Zeit in einem fremden Land hat die 21-Jährige selbstbewu­sster und selbststän­diger gemacht. Anderen Studenten wird sie Düsseldorf als Wohn- und Studiensta­dt weiterempf­ehlen.

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