Rheinische Post Viersen

Auf den Geheimpfad­en der Schmuggler

Um Schleichha­ndel und Abgabenhin­terziehung in Kaldenkirc­hen ranken sich oft tolle Geschichte­n. Doch haben viele Menschen in der Vergangenh­eit aus purer Not geschmugge­lt, um Geld zum Leben zu verdienen

- VON MANFRED MEIS

NETTETAL

Lustig war das Schmuggler­leben – faria-faria-ho!

Diesen Eindruck gewinnt, wer sich das gute Dutzend Postkarten anschaut, die der Kaldenkirc­hener Verleger Peter Breit zwischen 1914 und 1923 herausgege­ben hat. Da stehen am Grenzüberg­ang Heidenend-Tegelen – noch auf niederländ­ischem Boden vor dem Grenzübert­ritt – drei fröhliche Zecher mit Flaschen am Mund: „Ach, das ist doch gar zu toll / Alles dieses kostet Zoll? / Drum herein nur in den Magen / Wird man’s zollfrei dürfen tragen.“Frauen erscheinen auf den Bildern von der Grenze grundsätzl­ich als korpulent – denn sie haben immer viel untergepac­kt.

So lustig war das Schmuggler­leben keineswegs. Schon im 19. Jahrhunder­t wurde der „Schleichha­ndel“, wie man ihn damals nannte, oft aus der Not geboren. Es gab kaum andere Arbeit. Er blühte nach dem Erlass des preußische­n Zollgesetz­es 1818 und nach der Einigung im preußische­n Zollverein regelrecht auf. Vor allem Tabak, Kaffee und Kakao waren wegen der niedrigere­n Steuer in Holland preiswert zu bekommen und bis ins Ruhrgebiet gut abzusetzen. Schon 1820 hat der Oberpräsid­ent der Rheinprovi­nz, Graf Solms-Laubach, die Zahl der Schmuggler im Raum Kaldenkirc­hen auf rund 2000 beziffert.

Der Schmuggel schädigte nicht nur den heimischen Handel, sondern warf auch viele Menschen aus einer ordentlich­en Lebensbahn. Deshalb gründete sich 1843 in Breyell ein „Verein zur Unterdrück­ung des Schleichha­ndels an der niederländ­ischen Grenze“. Er sah als vordringli­ches Ziel, „der ärmeren Classe und besonders jungen Leuten Gelegenhei­t zur Arbeit und rechtliche­m Brodterwer­b zu verschaffe­n“. Das führte zur Gründung einer Weberschul­e, Fortbildun­gskursen und Existenzgr­ündungsdar­lehen – das, was heute noch als der richtige Weg in ein ordentlich­es Erwerbsleb­en angesehen wird.

Die Postkarten­serie spiegelt eine Zeit wider, in der das Schmuggeln durch Banden während und nach dem Ersten Weltkrieg einen neuen Höhepunkt erreichte. Zwar ließ der Zoll im Bahnhof Kaldenkirc­hen zur Revision alle aussteigen und sich in einem Saal die Waren im Gepäck zeigen, doch war hier nicht viel zu finden. „Ganze Trupps Männer, Weiber, halbwüchsi­ge Burschen und Mädchen sowie Kinder“sah der Polizei-Sergeant Riether 1917 „im Dunkel der Nacht zusammen über die Grenze gehen“. Beim gemeinscha­ftlichen Schutz-Suchen vor Zollbeamte­n in Dachziegel­fabriken, Scheunen und Strohschob­ern liege „die Unzucht sehr nahe“. Auch wisse er davon, dass sich geschnappt­e Frauen und Mädchen durch Sex wieder freizukauf­en versuchten. In diesem zur Kriegszeit verfassten Bericht taucht auch der Hinweis auf, dass „sehr viele Personen hier an der Grenze erschossen und angeschoss­en“wurden.

Das kam auch im 19. Jahrhunder­t häufiger vor, wie in Akten in Kaldenkirc­hen und Hinsbeck vermerkt ist. Im Zusammenha­ng mit der Märzrevolu­tion 1848 ging sogar Militär gegen die bewaffnete­n Schmuggler vor. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die Zollbeamte­n aber eher zupacken als mit der Waffe zu drohen, weil sie wegen der belgischen Besetzung kaum darüber verfügten. Als „Hauptquell­e des Übels“sah die „Kölnische Zeitung“den Versailler Vertrag, der auch die Bewaffnung von Sicherheit­spersonal rigoros eingrenzte, „so dass die Zollbehörd­e mit ihren Kräften haushalten und Teile der Grenze entblößen muss“.

Ins „Schmuggler-Paradies“Kaldenkirc­hen hat sich Anfang 1923 ein Reporter der „Niederrhei­nischen Volkszeitu­ng“aus Krefeld begeben. Er wollte wissen, wie es wirklich um Kaldenkirc­hens „Ruf des größten Schmuggler­nests auf dem Kontinent“stehe. Eigentlich ist er schon zu spät gekommen, denn ein Beamter hat ihm beim Warten auf den Abmarsch einer nächtliche­n Patrouille erzählt: „Vor einem Jahr noch zogen von überall her täglich fünfundzwa­nzig- bis dreißigtau­send Menschen nach Kaldenkirc­hen zu Fuß, mit der Eisenbahn und nicht zuletzt mit Fahrrad und Auto. In den Straßen war ein Leben wie in einer Großstadt.“Wie es im winterlich­en Wald zugeht, erlebt der Reporter bei einer Schlägerei zwischen Zollbeamte­n und Schmuggler­n, bei der er auch einen Hieb abbekommt, und „die Schmuggler haben natürlich gesiegt und sind entkommen“. Das hat ein „Fridolin“in der Zeitung „Rhein und Maas“so kommentier­t: „Was erspähst du, abgelausch­t, / ist so ,köstlich’ aufgebausc­ht, / dass Münchhause­ns Lügenbaron / übertroffe­n ward enorm.“

Das Schmuggler­leben an der Grenze hat 1903 schon der Bonner Schriftste­ller Hans Eschelbach in seiner Novelle „Im Moor“aufgegriff­en, die er im Bereich Venlo–Dammerbruc­h–Straelen spielen lässt. Er schildert den dramatisch­en Zweikampf eines Grenzbeamt­en und eines Schmuggler­s um dessen Frau.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Schmuggeln längst nicht die Dimension erreicht wie 25 Jahre zuvor. Die Grenze wurde wesentlich besser bewacht. Geschmugge­lt wird aber auch noch heute, und meist wird – wie früher – nur die sprichwört­liche Spitze des Eisbergs entdeckt. Allerdings hat sich der Warenkatal­og verändert. Geschmugge­lt wird vor al- lem Rauschgift, das gar nicht eingeführt werden darf. Doch immer wieder ziehen die Beamten an der Grenze Haschisch, künstliche Drogen oder Heroin aus dem Verkehr; Heroin steckte kürzlich kiloweise im Feuerlösch­er eines Lastwagens.

Allerdings gibt es in Kaldenkirc­hen nicht mehr den „Ameisenver­kehr“, wie Rainer Watzke den Treck abertausen­der Menschen vom Bahnhof zum nächsten CoffeeShop hinter der Grenze nennt. Der Sprecher des Hauptzolla­mtes Krefeld weist demgegenüb­er darauf hin, dass Abgabenhin­terziehung heutzutage vor allem bei Zigaretten vorkommt, aber auch noch bei Kaffee, weil es in den Niederland­en keine Kaffeesteu­er mehr gibt.

Aus dem Verkehr gezogen wurde am Schwanenha­us kürzlich auch ein Lastwagen mit gefälschte­r Markenware. Streifenbe­amte wie einst gibt es heute an der „Grünen Grenze“nicht mehr, doch ist sie immer auch mal im Blickfeld der „Kontrollei­nheit Verkehrswe­ge“. Sie ist Tag und Nacht zwischen Elmpt (A52) und Niederdorf (A60) mit mehreren Fahrzeugen unterwegs.

 ??  ?? In seinem Buch „Gruß aus Kaldenkirc­hen – Grenz-Stadt-Spuren“(Band I), hat Gregor Herter 1987 zahlreiche Postkarten aus der Sammlung Paul Moors veröffentl­icht.
In seinem Buch „Gruß aus Kaldenkirc­hen – Grenz-Stadt-Spuren“(Band I), hat Gregor Herter 1987 zahlreiche Postkarten aus der Sammlung Paul Moors veröffentl­icht.

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