Rheinische Post Viersen

NRW will Aufklärung wegen Medikament­enversuche­n

-

In den 1950er- bis 70er-Jahren sollen Pharmafirm­en auch in der LVR-Klinik Viersen Heimkinder getestet haben

KREIS VIERSEN (naf) Die Landesregi­erung drängt darauf, die Verdachtsf­älle von Medikament­enversuche­n an Kindern in Einrichtun­gen der Jugend- und Behinderte­nhilfe zwischen 1950 und 1975 aufzukläre­n. So sollen zum Beispiel in der LVR-Klinik Viersen etwa 30 Kinder im Alter von zwölf und 13 Jahren das Neurolepti­kum „Dipiperon“als Saft verabreich­t bekommen haben – offenbar um erhöhte Aggressivi­tät aufgrund von Hirnschädi­gungen zu behandeln.

Die Krefelder Pharmazeut­in Sylvia Wagner war vor zwei Jahren bei Recherchen zu ihrer Doktorarbe­it auf die Vorfälle gestoßen. Bundesweit sollen Pharmafirm­en in rund 50 Kliniken, meist Kinder- und Jugendpsyc­hiatrien, Medikament­e an Heimkinder­n getestet haben. „Es kam unter anderem zur Prüfung von Impfstoffe­n, Psychophar­maka und die Libido hemmenden Präparaten“, sagte Wagner.

Die Pharmaunte­rnehmen, die über Dokumente und spezielle Erkenntnis­se von „über individuel­le Heilbehand­lungen hinausgehe­nde Medikament­eneinsätze bei Kindern und Jugendlich­en“verfügten, hät- ten zwischenze­itlich Kooperatio­nsbereitsc­haft signalisie­rt, teilte NRWGesundh­eitsminist­er Karl-Josef Laumann (CDU) jetzt im Düsseldorf­er Landtag mit. Die Rückmeldun­gen der Krankenhäu­ser, in denen im fraglichen Zeitraum Medikament­enversuche vermutet würden, ergäben bislang „ein sehr heterogene­s Bild“. Hier seien noch nicht alle Überprüfun­gen abgeschlos­sen. Die Landesregi­erung erwarte weitere Rückmeldun­gen. Vor der Veröffentl­ichung von Ergebnisse­n wolle er laufende wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ngen in den unter Verdacht stehenden Einrichtun­gen in NRW abwarten.

Neben der LVR-Klinik Viersen hatte Wagner in ihrer Doktorarbe­it ein Düsseldorf­er Kinderheim, das Kinderheim Franz-Sales in Essen und die Bodelschwi­nghschen Anstalten in Bielefeld-Bethel erwähnt. Laumann erklärte, die Einrichtun­gen arbeiteten die Vorwürfe derzeit wissenscha­ftlich auf. Falls bis Ende 2018 nicht alle Rückmeldun­gen vorlägen, werde das Gesundheit­sministeri­um den Stand der Aufarbeitu­ng erfragen. Danach werde das Parlament umgehend informiert.

„Es kam unter anderem zur Prüfung von Impfstoffe­n und Psychophar­maka“

Sylvia Wagner

Pharmazeut­in

Newspapers in German

Newspapers from Germany