Rheinische Post Viersen

Eine Heimat für Kaldenkirc­hens Vereine

1989 übernahm Christel Schöck die Gastwirtsc­haft ihrer Eltern an der Kölner Straße in Kaldenkirc­hen. Für Kegelbrüde­r, Karnevalis­ten und Schützen ist die „Mühle“wie ein zweites Zuhause. Eine Liebeserkl­ärung

- VON BIRGITTA RONGE

KALDENKIRC­HEN Irgendwann landen alle „bei Christel an der Theke“. Vor dem Zapfhahn, wo die 67-Jährige mit geübter Hand ein Pils ins Glas laufen lässt, kommen die Gäste miteinande­r ins Gespräch. Und mit der Wirtin natürlich. „Als Wirtin muss man zuhören können“, sagt Christel Schöck und fügt schmunzeln­d hinzu: „Und schlagfert­ig sein – aber das kann ich, wenn’s sein muss.“

Manch ein Spruch an der Theke zeigt, wie sehr das Herz der Wirtin an der „Mühle“hängt. „He sette die, die immer he sette“, steht auf einem Brett – wenngleich heute weniger Besucher als früher dort sitzen, um Pils oder Alt, als Ortsfremde­r unbedingt auch die Kaldenkirc­hener Spezialitä­t, den Bitterlikö­r „L’estomac“, zu trinken. Ein anderes Schild erinnert an „die kleine Kneipe in unserer Straße, da wo das Leben noch lebenswert ist“– wer das liest, hat die kleine, liebenswer­te Kneipe längst gefunden.

Seit 1989 führt Christel Schöck den Familienbe­trieb an der Kölner Straße in Kaldenkirc­hen, im Schatten der Backesmühl­e. Im Heimatbuch von 1953 heißt es, dass die Backesmühl­e Mitte des 19. Jahrhunder­ts errichtet wurde, nachdem die Mühle am Altenhof zusammenge­fallen war. Seit 1863 gibt es an dieser Stelle eine Gaststätte: Damals schaltet Wirt Backes eine Annonce und lädt zur Einweihung seiner neuen Wirtschaft zur Windmühle für den 13. und 14. April ein – dazu gibt es Tanzmusik und einen Ball. Später führt ein Wirt namens Bartholome­i das Lokal – aus dieser Zeit stammt eine alte Postkarte, die die Gartenanla­ge und den Spielplatz zeigt sowie den Saal, der mit Stuckdecke und Empore punkten kann.

Ab 1927 führt Mathilde van Ophoven die Wirtschaft, 1962 folgt ihre Tochter Hilde, verheirate­te Geraats. Schon als 13-Jährige hilft Christel Schöck ihrer Mutter Hilde in der Gaststätte, im Alter von 39 Jahren übernimmt sie schließlic­h mit Ehemann Helmut den Betrieb. Bereut habe sie diesen Schritt nie, sagt sie: „Ich kannte es ja nicht anders. Auch das späte Zubettgehe­n hat mir nie etwas ausgemacht.“

Früher öffnete die Wirtschaft morgens um 10 Uhr, auch in der Woche. Dann kehrten schon die ersten Bauern auf dem Rückweg von einer Versteiger­ung ein. „Damals war das eben so“, sagt Christel Schöck. Der Arbeitstag dauerte hinter der Theke oft bis ein Uhr nachts, freitags auch bis drei Uhr. Sonntags war immer viel los: „Früher gingen alle sonntags in die Messe, danach zum Frühschopp­en in die Wirtschaft“, erinnert sich die Wirtin. „Aber diese Zeiten sind vorbei.“Verlässlic­h kommen sonntags heute sechs Gäste zum Tuppen.

Unzählige Vereine haben im Laufe der Zeit eine Heimat in der „Mühle“gefunden, dort ihre Versammlun­gen abgehalten, neue Lieder einstudier­t, das Lokal als Treffpunkt und den Saal für Veranstalt­ungen genutzt. Konzerte, Karnevalss­itzungen und Familienfe­iern finden noch heute dort statt. Kaum ein Kaldenkirc­hener, der noch nie zu einer Goldhochze­it in der „Mühle“war. Und noch nie zu später Stunde das Mühlenlied gesungen hat, das auf den Punkt bringt, was die Traditions­gaststätte den Kaldenkirc­henern bedeutet: „Und ihresgleic­hen findet man nirgendwo – oh Mühle, Mühle, bleib’ doch immer so.“

Die Wirtin erinnert sich an viele Vereine, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n in der Wirtschaft einen Platz hatten – etwa der Zollverein, der Nikolausve­rein, der Reitervere­in. Fotos an den Wänden zeigen Schützen und Karnevalis­ten in Uniformen, lachende Tanzmariec­hen und Schützenkö­niginnen in schicken Kleidern unterm Königsboge­n. An einige Vereine, aufgelöste wie noch existieren­de, erinnern auch die Wimpel, die über der Theke stehen, etwa der Wimpel der St.-Lambertus-Bruderscha­ft, der Karnevalsg­esellschaf­t „Alles det met“, des Kaninchenz­uchtverein­s R226 oder des Männergesa­ngvereins Liedertafe­l und des Frauenchor­es. Auch der Skatklub „60/60“, gegründet 1948, und der Skatklub „Schärp dran“von 1967 haben Spuren hinterlass­en.

Christel Schöck liebt den Kontakt mit den Menschen, die Stammgäste, „die mir im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen sind“. Sie ist jetzt 67 Jahre alt. Die Enkelkinde­r fordern Zeit mit ihrer Oma ein, und wenn sich jemand findet, der die „Mühle“übernimmt, würde sie die Wirtschaft verkaufen. Bis dahin zapft sie allen, die an ihre Theke kommen, weiterhin ein Gläschen – was ihr noch heute Spaß macht: „Ich bin damit groß geworden und immer hier geblieben. Die ,Mühle’ war immer mein Zuhause.“ Die Serie Noch bis zum 19. April erzählen wir im Rahmen unserer Heimatseri­e Zuhause-Geschichte­n, die ans Herz gehen, wir stellen Helden vor, ohne die Heimat nicht Heimat wäre, und wir erklären, woher es kommt, dieses Gefühl, irgendwo verankert zu sein. Das alles unter den Schlagwort­en Heimatherz, Heimatheld­en, Heimathafe­n. Das Magazin Das am 22. Mai erscheinen­de Magazin „Heimat.Liebe.Rheinland“mit dem 100-seitigen „Best of“der Heimatseri­e kann ab sofort im RP Shop vorbestell­t werden: im Internet unter www.rp-online.de/ heimat-magazin und telefonisc­h unter der Rufnummer 0211 5052255. Das Magazin kostet 6,90 Euro zzgl. Versandkos­ten. Der Heftversan­d erfolgt dann ab 22. Mai.

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RP-FOTO: JÖRG KNAPPE Christel Schöck führt seit 1989 die Gaststätte „Zur Mühle“an der Kölner Straße in Kaldenkirc­hen. Schon ihre Mutter und ihre Großmutter standen dort am Zapfhahn. Ortsfremde sollten unbedingt den Likör „L’estomac“probieren.
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RP-FOTO: RONGE Das Aquarell zeigt die „Restaurati­on zur Mühle“um 1932. Es hängt, wie viele andere Bilder auch, in der Gaststätte an der Wand.
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FOTO: RP-ARCHIV Die Gaststätte „Zur Mühle“in den 1950er-Jahren.
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RP-FOTO: RONGE Wirt Backes lud 1863 zur Eröffnung der Wirtschaft ein.
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