Rheinische Post Viersen

Kritik an Vorstoß für Kopftuchve­rbot

NRW will muslimisch­e Mädchen durch ein Verbot schützen. Politiker und Lehrer sind uneins.

- VON THOMAS REISENER UND FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Die Landesregi­erung bekommt zunehmend Gegenwind für ihren Vorstoß, Mädchen unter 14 Jahren das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten. Gestern sprachen sich etwa die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), und die Leiterin der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes, Christine Lüders, gegen ein Verbot aus. Sie könne die Motivation zwar nachvollzi­ehen, sagte Widmann-Mauz der „Welt“, ein Verbot löse aber nicht das Problem.

Serap Güler, Staatssekr­etärin im nordrhein-westfälisc­hen Integratio­nsminister­ium, hatte am Wochenende argumentie­rt, das Kopftuch sexualisie­re Kinder: „Einem jungen Mädchen ein Kopftuch überzustül­pen, ist pure Perversion.“Lehrer beobachtet­en immer häufiger, dass siebenjähr­ige Kinder mit Kopftuch zur Schule kämen. Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) hatte sich Gülers Forderung angeschlos­sen; Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) lässt ein Verbot prüfen.

Auf Nachfrage, ob es neue Zahlen zu kopftuchtr­agenden Mädchen gebe, antwortete Güler: „Das Phänomen wird immer sichtbarer. In Ausnahmefä­llen erscheinen sogar schon Kindergart­enkinder mit Kopftuch in den Kitas.“Das Verbot solle „primär für Schulen und Kindergärt­en geprüft werden“.

Güler spricht sich für den 14. Geburtstag als Stichtag aus, weil Kinder dann religionsm­ündig werden. Derzeit gibt es in NRW kein pauschales Kopftuchve­rbot etwa an Schulen – das Verfassung­sgericht hatte eine entspreche­nde Gesetzespa­ssage 2015 für ungültig erklärt. Ein Verbot sei nur gerechtfer­tigt, wenn eine „hinreichen­d konkrete Gefahr“für den Schulfried­en oder die staatliche Neutralitä­t bestehe.

Die Grünen wollen nun von der Landesregi­erung wissen, wie viele Fälle kopftuchtr­agender Mädchen in Kitas und Grundschul­en bekannt sind. Die integratio­nspolitisc­he Sprecherin Berivan Aymaz sagte: „Bevor wir eine Verbotsdeb­atte führen, sollte die Landesregi­erung erst mal Fakten liefern.“Laschet müsse „die Dimension des Problems belegen können“.

Auch Schulvertr­eter äußerten sich skeptisch. „Das Problem kopftuchtr­agender Mädchen an Grundschul­en ist bisher von unseren Mit- Mario Vallana gliedern nicht als bedeutsam wahrgenomm­en worden“, sagte Christiane Mika, Vorsitzend­e des Grundschul­verbands NRW und selbst Leiterin einer Grundschul­e im Dortmunder Norden. Dort, sagte Mika, seien von 345 Schülern 280 Muslime; sechs trügen Kopftuch.

Ähnlich äußerten sich die Gesamtschu­len. „Auch wenn die Zahl der Kinder mit Kopftuch an den Gesamtschu­len zugenommen hat, ist das derzeit kein relevantes Phänomen“, sagte Mario Vallana, Landesspre­cher der Schulleitu­ngsvereini­gung der Gesamtschu­len. Grundsätzl­ich halte sein Verband „nicht viel von pauschalen Verboten“. Ein Verbot provoziere mehr Probleme, als es löse.

Zuspruch bekamen Güler und Laschet dagegen von FDP-Chef Christian Lindner und CDU-Vize Julia Klöckner. Auch der Deutsche Lehrerverb­and und der Philologen­verband zeigten sich offen für ein Verbot.

„Wir halten nicht viel von pauschalen Verboten“ Schulleitu­ngsvereini­gung Gesamtschu­le

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