Das Versagen der Welt
DÜSSELDORF Carla Del Ponte kennt sich aus mit den Abgründen der menschlichen Natur. Von 1999 bis 2007 war die Schweizerin Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien sowie für den Völkermord in Ruanda. Doch die Grausamkeiten, die sie zwischen 2011 und 2017 als UnoSonderermittlerin für Syrien untersuchen musste, überstiegen nach ihrem Bekunden alles, was sie bis dahin erlebt hatte. Ihr Entsetzen wurde nur noch übertroffen durch ihre Empörung über die Untätigkeit der Welt angesichts des Gemetzels an der syrischen Bevölkerung: „Das ist die große Schande der internationalen Gemeinschaft.“
Der Konflikt in Syrien hat sich längst zu einer der größten humanitären Katastrophen seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt. Mindestens 400.000 Menschen sind in sieben Jahren gestorben, 85 Prozent davon Zivilisten. Elf Millionen Syrer haben mindestens einmal ihr Obdach verloren oder sind auf der Flucht. Große Teile der Infrastruktur liegen in Trümmern. Aber vielleicht ist die schlimmste Folge, dass dieser erbarmungslos geführte Krieg den Glauben in so etwas wie Gerechtigkeit zutiefst erschüttert hat.
Gewiss, Krieg ist immer schmutzig, aber immerhin war es über Jahrzehnte gelungen, internationale Konventionen durchzusetzen, um die Zivilbevölkerung wenigstens vor dem Einsatz der grausamsten Waffen zu bewahren. Die Konventionen wurden in Syrien fast alle gebrochen. Geächtete Fassbomben, Streumunition und Phosphorgranaten werden hemmungslos eingesetzt. Und immer wieder auch Giftgas. Systematisch werden Krankenhäuser, Schulen und andere zivile Infrastruktur zerbombt, ganze Landstriche werden eingekesselt und gnadenlos ausgehungert.
Es handelt sich um geplante Kriegsverbrechen der schlimmsten Art, und für die meisten davon sind das Assad-Regime und seine wichtigsten Verbündeten, Russland und der Iran, verantwortlich. Russland hat nicht nur im September 2015 massiv militärisch aufseiten des Regimes in den Syrien-Krieg eingegriffen, es schützt Assad seither auch politisch. Mit bislang elf Vetos erstickte Moskau jede entschiedene Resolution des Weltsicherheitsrats zu Syrien im Keim. Im November verhinderte der Kreml zudem die Verlängerung des Mandats einer Uno-Mission zur Aufklärung von Chemiewaffen-Einsätzen in Syrien.
Jene, die die mit russischer Rückendeckung begangenen Kriegsverbrechen Assads relativieren oder gar leugnen, argumentieren gerne damit, dass ein Sieg islamistischer Milizen in Syrien alles noch viel schlimmer machen würde. Dass der Diktator genau diese Situation bewusst provoziert hat, wird dabei gerne verschwiegen. Der SyrienKrieg begann 2011 nicht mit Dschihadisten-Angriffen, sondern damit, dass das Regime friedliche Proteste zusammenschießen ließ. Es war Assad, der den Konflikt dann gezielt konfessionalisierte, um die Bevölkerung zu spalten. Schon sein Vater hatte auf diese Weise erfolgreich seine Herrschaft und die Dominanz der schiitisch-alawitischen Minderheit in Syrien abgesichert.