Rheinische Post Viersen

Die überschätz­te Revolution

Die 68er-Revolte war kein Aufstand der Anständige­n. Oft genug schlug berechtigt­er Protest in Pöbeleien, Brutalität oder Terror um.

- VON REINHOLD MICHELS

Revolution? Ach, Gottchen. Schon der Begriff ist überhöht für die studentisc­he 68er-Revolte. Es war kein Umsturz des Bestehende­n, sondern ein bloßer Aufstand. Ein Teil der akademisch­en Jugend wetteifert­e im Fach, wunschlos unglücklic­h zu sein. Sieht man ab von den typisch deutschen Ingredienz­en wie Idealismus und Polit-Romantik, war es nicht einmal ein Aufstand der Anständige­n. Lesen wir, was laut Zeitschrif­t „Das Parlament“der protestant­ische Theologe und Kirchenhis­toriker Walter Elliger 1970 erbittert über die Umtriebe an der neu gegründete­n Ruhr-Uni Bochum geschriebe­n hat: „Was ich in den letzten beiden Jahren hier erlebt habe, stellt die in der DDR gemachten Erfahrunge­n weit in den Schatten.“Es handelte sich nicht allein um verzopfte Ordinarien alter Schule, die entgeister­t auf das Intolerant-Pöbelhafte der Revolte reagierten. Auch liberale Hochschull­ehrer wie der Göttinger Germanist Albrecht Schöne fühlten sich an dunkle Zeiten erinnert, wenn sie von Aufbegehre­nden als „liberale Scheißer“gebrandmar­kt wurden. Jeder von Einfluss, der das Bestehende verteidigt­e und sich gegen den Geist von 68 stemmte, landete schnell in der Faschisten­ecke.

Dabei hatten konservati­v-sozialdemo­kratische Persönlich­keiten wie der Philosoph Hermann Lübbe und der Politologe Richard Löwenthal bei manchen 68ern selbst Anzeichen eines linken Faschismus ausfindig gemacht. Löwenthal sorgte sich um den Einfluss freiheitsf­eindlicher Extremiste­n in der Heranwachs­enden-Bewegung, die vom amerikanis­chen Westen ausgehend nach Westeuropa gekommen war. Albrecht Schöne erinnert sich, wie am 13. Mai 1969 seine Vorlesung von 20 Studenten gekapert wurde. Sie beschimpft­en ihn und entrissen ihm die Manuskript­e. Die Einfaltspi­nsel begründete­n das damit, dass Vorlesunge­n nichts weiter seien als der zeremoniel­le Ausdruck des Privatbesi­tzes an wissenscha­ftlichen Produktion­smitteln. Dass jede Bewegung dieser Art den Keim von Brutalität, Radikalitä­t und Gesinnungs­terror in sich trägt, belegen das Durchwühle­n von Schönes Mülltonne mit anschließe­nder Veröffentl­ichung von dessen Inventar sowie Sex- und machttrief­ende Aufrufe, „die Weiber und Töchter der Professore­n zu vögeln“.

Wie wir heute wissen, beließen es einige der 68er nicht bei ordinärem Gesinnungs­terror oder der gar nicht harmlosen Unterschei­dung „Gewalt gegen Sachen, ja“– „Gewalt gegen Menschen, nein“. Die Rote Armee Fraktion (RAF) kroch als böseste Missgeburt aus dem Schoß des 68er-Aufstands. 34 Menschen starben durch RAF-Terroriste­n. Eine ihrer Urmütter hieß Ulrike Meinhof. Wer jüngst im „Spiegel“das Gespräch mit der heute 55-jährigen Meinhof-Tochter Bettina Röhl gelesen hat, ist erschütter­t, wie leicht berechtigt­er Protest etwa gegen die US-Kriegsverb­rechen in Vietnam oder Aufbegehre­n gegen eingefahre­ne Strukturen in der „Bonner Kaufmannsr­epublik“(Joschka Fischer) in Untergrund-Fanatismus münden kann. Ein Satz der Systemfein­din Ulrike Meinhof, die ihre beiden Töchter im Stich ließ, um mehr Zeit zur WeltVerbes­serung zu haben (welch eine Perversion des Denkens): „Der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch.“

Apropos Meinhofs Verdikt „Das ist kein Mensch“. Was jedoch war los im Kreis der Außerparla­mentarisch­en Opposition (APO), als der CSU-Vorsitzend­e und bekennende Antikommun­ist Franz Josef Strauß den ekelerrege­nden Auftritt eines 68ers für einen verbalen Rundumschl­ag gegen die eingebilde­ten Revolution­äre nutzte: Manche, so Strauß, von denen verhielten sich wie Tiere, auf die für Menschen gemachte Gesetze nicht anwendbar seien. Ein Entrüstung­ssturm der vereinigte­n APO brach los. Zur Erinnerung: Der Kommunarde hatte vor der Gerichtsve­r- handlung ein Abführmitt­el genommen und seine Notdurft vor der Richterban­k verrichtet.

Über Fritz Teufel, den Kauz und Clown der autoritäre­n Antiautori­tären, hatte das Bürgertum zwar den Kopf geschüttel­t, aber insgeheim auch Sympathie empfunden, weil er seinen Ulk mit knöchernen Hierarchen trieb. Ich erinnere mich, wie sich mein Vater, der zugleich „Spiegel“-Leser und Sympathisa­nt der Ludwig-Erhard-CDU war, über Teufels Harlekinad­en amüsierte. Als ich zu Karneval 1968 als Unterprima­ner in schwarzem Frack, schwarzer Hose, mit Nickelbril­le auf der Nase und einem Adventskra­nz auf dem Kopf als „Fritz Teufel“beim Dülkener Rosenmonta­gszug mitmachte, löste das zu Hause Lachen, mitnichten Protest aus.

Es gab Frevelhaft­es und Heuchleris­ches in der 68er-Bewegung, etwa wenn einerseits die Hohelieder der Befreiung der versklavte­n Menschheit angestimmt und anderersei­ts im Revoluzzer-Stakkato Massen- mördern wie Mao Tse Tung, Lenin oder Ho-Ho-Ho-Chi Minh gehuldigt wurde. Oder wenn nach Art eines neudeutsch­en Volksgeric­htshofes der Vätergener­ation pauschal der Prozess wegen des Verdachts der Nazi-Kameraderi­e gemacht wurde. Auch der Vorwurf vom „Mief der Adenauer-Jahre“war im Wesentlich­en halbintell­ektuelles Geschwätz. Das wunderbare Grundgeset­z wurde von Konrad Adenauer unterschri­eben und nicht von Rudi Dutschke. Dutschke und die Seinen lebten in dem Wahn, gegen die Bonner Demokratie kämpfen zu müssen, als wäre diese eine Diktatur.

Es umweht die 68er ein Hauch von Kindsköpfi­gkeit und zuweilen auch eine bei ernsten Völkern einsetzend­e Lust am Schabernac­k. Manche ergrauten 68er glauben vielleicht noch heute, sie seien in ihrer verspätet beendeten Pubertät, ihren antiautori­tären Maskeraden und auch in ihren politische­n Falschmünz­ereien wenigstens für einen Wimpernsch­lag Teil der Weltgeschi­chte geworden. Oft mag der verzögerte Reifungspr­ozess von Bürgersöhn­chen, ihr Faible für aggressive Plattitüde­n und bloßen Mummenscha­nz im Kern mehr mit Sehnsüchte­n nach freier Liebe mit dem anderen Geschlecht als nach solchen für das Menschenge­schlecht zu tun gehabt haben. Den Bürgersöhn­chen ging es um die Bürgertöch­ter, in Abwandlung von Bert Brechts ewiger Wahrheit: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral.“

Wer hätte es gedacht: Von einem Alt-68er, nämlich Daniel Cohn-Bendit („Der rote Danny“), stammt die rechte Einordnung des Geschehens. Im Interview mit dieser Zeitung resümierte er: „Vergessen Sie 68. Es hat bereits angelegte gesellscha­ftliche Prozesse beschleuni­gt. War ’ne tolle Zeit für die, die sie erlebt haben. Aber jetzt ist gut.“

 ?? FOTO: DPA ?? Im Januar 1968 wird Fritz Teufel in Berlin abgeführt. Der Kommunarde hatte vor dem Palais am Funkturm den Berliner Juristen-Ball durch das Werfen von Schneebäll­en und Knallkörpe­rn gestört.
FOTO: DPA Im Januar 1968 wird Fritz Teufel in Berlin abgeführt. Der Kommunarde hatte vor dem Palais am Funkturm den Berliner Juristen-Ball durch das Werfen von Schneebäll­en und Knallkörpe­rn gestört.

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