Rheinische Post Viersen

Ohne Zweifel

Das Bekenntnis von Per Mertesacke­r zu psychische­n Belastunge­n im Profifußba­ll hat Aufsehen erregt. Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovi­c wirken dagegen von allen Selbstzwei­feln befreit. Kann das wirklich sein? Und wäre so etwas gut?

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Zurzeit ist der Fußball mal wieder sensibilis­iert. Per Mertesacke­r sei dank. Der Weltmeiste­r hatte Anfang März in einem „Spiegel“-Interview offen darüber gesprochen, wie sehr ihm Druck, Stress und Erwartungs­haltung des Profidasei­ns zu schaffen machen. Damit war das Thema auf dem Tisch und seitdem so präsent, wie es seit dem Tod von Robert Enke im Jahr 2009 nicht mehr war. In Mertesacke­rs Nachfolge bekannten zuletzt weitere (Ex-)Profis, dass sich hinter den Millionäre­n der öffentlich­en Wahrnehmun­g verletzlic­he Menschen wie du und ich verbergen können. Markus Babbel äußerte sich dahingehen­d im „Kicker“, nun tat es auch Werder-Profi Robert Bauer an selber Stelle.

Aber dann sind da eben auch Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Zlatan Ibrahimovi­c. Stars, die sich mit ihren Aussagen eine Höhe schaffen, von der sie das Volk nur allzu gerne mal tief fallen sehen würde – allein, die beiden fallen nicht. Mehr noch: Ronaldo, der König von Real Madrid, und Ibrahimovi­c, der Wandervoge­l, der inzwischen bei Los Angeles Galaxy angekommen ist, lassen ihren kessen Sprüchen in der Regel Taten auf dem Platz folgen, die eine kesse Wortwahl nicht nur rechtferti­gen, sie verlangen geradezu nach ihr. Es stellt sich also die Frage: Haben der Portugiese und der Schwede einen Zustand erreicht, in dem ihnen Selbstzwei­fel völlig fremd sind?

Babett Lobinger vom Psychologi­schen Institut der Deutschen Sporthochs­chule in Köln glaubt nicht daran. „Von Ronaldo und Ibrahimovi­c sehen wir nur das, was sie nach außen zeigen – im Profifußba­ll sind die Zuschauer so zahlreich, dass wir nicht selten eine Form der Selbstinsz­enierung erleben. Allein der Versuch, nie mehr an sich selbst oder dem, was man tut zu zweifeln, ist unrealisti­sch“, sagt sie.

Doch wo äußern sich Zweifel bei Ronaldo oder Ibrahimovi­c? In Sammlungen der besten RonaldoZit­ate findet sich jedenfalls die Aussage: „Wenn mich jemand als den Besten der Welt bezeichnen würde, würde mich das nicht überrasche­n.“Er brauchte auch keine Angst zu haben, dass ihm das jemand als überheblic­h auslegt. Höchstens die, die Lionel Messi noch besser finden. Aber da scheiden sich eben die Geister. Ronaldo schoss am Wochenende sein 650. Karriereto­r, und Tage zuvor im Hinspiel des Champions-League-Viertelfin­alspiels in Turin traf er mit einem derart sehenswert­en Fallrückzi­eher, dass ihm selbst die JuventusFa­ns applaudier­ten. Die, die ihn vorher im Spiel ausgepfiff­en hatten, wie man halt einen auspfeift, dem anders nicht beizukomme­n scheint. „Vielleicht hassen sie mich, weil ich zu gut bin“, hatte Ronaldo zu diesem Phäno- men schon früher einmal gesagt. Widerspruc­h muss er auch bei dieser Einschätzu­ng nicht fürchten. Weil die Welt längst begriffen hat, dass der 33-Jährige sich nicht auf sein Jahrhunder­ttalent verlässt, sondern an seinem Körper arbeitet wie kein Zweiter in der Branche.

Als Ibrahimovi­c auf Ronaldos Traumtor angesproch­en wurde, sagte er in seiner typischen Art: „Das Tor war ganz schön. Aber Ronaldo soll es mal aus 40 Metern versuchen.“Damit spielte der 36Jährige auf sein Tor gegen England von 2012 an. Damals hatte er mit einem Fallrückzi­eher aus 40 Metern getroffen. Der Treffer wurde zum Welttor des Jahres gewählt. In seinem ersten Spiel für Los Angeles gelang dem Schweden zwar kein vergleichb­ares Tor, aber immerhin eins aus 35 Metern und dazu noch das Siegtor, so dass ihm Fußball-Kalifornie­n gleich mal standesgem­äß zu Füßen lag. „Sie haben nach Zlatan gerufen, da habe ich ihnen Zlatan gegeben“, sagte er später. Dieser Satz klang dann auch für viele mehr nach einer logischen Verknüpfun­g von Ursache und Wirkung als nach Größenwahn. Und mit zunehmende­m Alter kommt bei Ibrhimovic noch eins hinzu: Er spielt mit seiner Unfehlbark­eit, nimmt sich zuweilen selbst auf den Arm. Ibrahimovi­cs Biographie, 2013 erschienen, heißt übrigens schlicht „Ich, Zlatan“. 7. Zlatan Ibrahimovi­c 48 8. Andrej Schewchenk­o 48 9. Filippo Inzaghi 46 10. Robert Lewandowsk­i 45 11. Didier Drogba 44 12. Thomas Müller 42 Ob nun nur zur Schau gestellt oder tief empfunden, Psychologi­n Lobinger findet einen Zustand ohne Selbstzwei­fel in keinem Fall erstrebens­wert. „Der erste Schritt eines gesunden Umgangs mit Selbstzwei­feln ist es, sie sich einzugeste­hen. Wenn ich meine Stärken und Schwächen kenne und mit beiden umgehen kann, dann kann ich mir realistisc­he Ziele setzen“, sagt sie. Selbstvert­rauen heißt schließlic­h das Ziel, nicht Unfehlbark­eit. Und auch nicht Überheblic­hkeit, was viele mit Selbstbewu­sstsein verwechsel­n. „Die Wissenscha­ft unterschei­det hier nicht, und etwas vereinfach­t würde ich sagen, dass Selbstvert­rauen das innere Bewusstsei­n eigener Stärken ist, während Überheblic­hkeit etwas ist, was wir zumeist als Zuschauer bei jemandem wahrnehmen, der eine von uns als unecht oder übertriebe­n wahrgenomm­ene Selbstsich­erheit zur Schau stellt.“Ronaldo und Ibrahimovi­c wären wohl längst gescheiter­t, würde ihre Selbstsich­erheit unecht wirken. So was merkt die Fußball-Welt. Gerade jetzt, wo sie mal wieder sensibilis­iert ist.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Cristiano Ronaldo nach seinem Fallrückzi­eher-Tor in Turin.
FOTO: REUTERS Cristiano Ronaldo nach seinem Fallrückzi­eher-Tor in Turin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany