Rheinische Post Viersen

Borussia – auch eine Frage des Stils

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÖNCHENGLA­DBACH Wenn es um Identitäte­n von Fußballver­einen geht, werden große Worte benutzt. DNA zum Beispiel, entlehnt der Biochemie. Philosophe­n würden eher vom Wesen sprechen, Theologen von der Seele und Marketingm­enschen vom Claim. „Die Fohlen“nennen sich die Borussen ab Freitag, wenn das Spiel gegen Wolfsburg ist, ganz offiziell, und das beinhaltet alles, was Borussia Mönchengla­dbach sein will: „Ungezügelt, mutig, leidenscha­ftlich, immer nach vorne“, das war im Imagefilm des Klubs zu sehen, der bei der Mitglieder­versammlun­g vorgeführt wurde.

„In den 70er Jahren wurde die DNA des Klubs geprägt und wir haben es geschafft, die DNA wiederzube­leben“, sagte Manager Max Eberl. Was den Fußball angeht, ist das ein großes Verspreche­n. Denn wer „Fohlen“sagt, der sagt auch Weisweiler, Netzer, Vogts, Wimmer und Heynckes, Fohlenelf, Konterfußb­all, Torfabrik, Titel, Glanz und Gloria. So viel davon, dass es Schatten warf auf ein ganzes Jahrzehnt: „Die 80er Jahre sind eine wichtige, aber total unterschät­zte Dekade“, sagte Eberl. „Da gab es nur drei Trainer, Borussia spielte fünfmal in Europa und war neunmal einstellig.“Beispielha­ft ist die Saison 1986/87: Platz drei in der Bundesliga, Halbfinale im DFB-Pokal und im Uefa-Cup. Und doch wirken die 80er in der Borussen-Historie grau und unspektaku­lär – im Schein der großen 70er. Nicht nur wegen der Titel, sondern auch wegen des fasziniere­nden Fußballs der Weisweiler-Zeit. Ein bisschen so ist es jetzt auch: Die Jahre mit Lucien Favre, die Jahre der Wiedergebu­rt der Legende, als der Schweizer und Eberl es „schafften, die DNA wieder hervorzuho­len“und in die Moderne zu übertragen mit Favres Gladbach-Tiki-Taka, dessen ästhetisch­er Ritterschl­ag der Ausdruck „Borussia Barcelona“war, hat für die Neuzeit des Klubs trotz der Titellosig­keit die Strahlkraf­t der 70er und hat Maßstäbe gesetzt. Denn „die Champions-League-Teilnahme ist für uns wie eine Meistersch­aft“, sagt Eberl gern. Dass Favre Borussia aus eineinhalb Dekaden der Traurigkei­t und mit zwei Abstiegen reanimiert­e, erneuerte und nach Europa führte, kommt hinzu. Borussias Fans sogen die Glücksgefü­hle auf wie ein Schwamm. Wegen Europa. Und wegen des Stils.

In der vergangene­n Saison war Borussia Neunter, nun ist sie Achter. Eberl definiert das als Normalität, die „nicht sexy ist, aber dazu gehört“. Andere sehen das anders. UrBorusse Berti Vogts spricht in seiner Telekom-Kolumne von „einer enttäusche­nden Saison“: „Dieter Hecking hat anfangs gute Arbeit gemacht, er hat das Vertrauen von Manager Max Eberl und noch einen Vertrag bis 2019. Viel wichtiger als ein neuer Trainer ist ein Umdenken im Klub“, so Vogts. Er rät Eberl aber „mal auf den Tisch zu hauen und auch mal über Fehler zu sprechen“.

Max Eberl hat indes angekündig­t, „jeden Stein umzudrehen“, warb bei der Mitglieder­versammlun­g aber auch um das Vertrauen der Fans. Um jenes Vertrauen, das da war in der Favre-Ära, auch wenn es nicht so gut lief. „Der Favre macht das schon“, war dann zu hören, und die Mannschaft hatte ein fixes systemisch­es Korsett und extreme Automatism­en, auf die es sich zurückzieh­en konnte in schwierige­n Situatione­n.

Manches wird natürlich verklärt, ganz sicher – selbst die Fohlenelf machte nicht nur gute Spiele, auch da waren die Fans angesichts der großen Erfolge verwöhnt. „Wenn wir mal einen Rückpass gespielt ha- ben, gab es gleich Rumoren“, erinnert sich Vogts im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch bei Favre gab es einige Normalität – aber eben auch viel Geborgenhe­it.

In der Talk-Sendung „Doppelpass“riet Ex-Nationalsp­ieler Thomas Strunz (auch der Berater des Borussen Vincenzo Grifo) Borussia, sich so langsam von der Ära Favre zu emanzipier­en, dieser Zeit also etwas Neues entgegenzu­setzen, so wie die Favre-Ära der neuzeitlic­he Gegenpol zu den 70ern geworden ist.

Eberl erklärte bei der Mitglieder­versammlun­g die Fohlenphil­osohie erneut für alternativ­los. Er und Hecking sind nun gefragt, sie punktuell neu zu modelliere­n, mit einem neuen System oder einem anderen Stürmertyp­en zum Beispiel. Borussias DNA gibt die „Leitplanke­n“(Eberl) vor, dazwischen ist aber viel Spielraum. Den gilt es zu nutzen im Sinne des Borussen-Fußballs. Der ist auch eine Frage des Stils.

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FOTO: WIECHMANN Dieter Hecking und Max Eberl bei der Mitglieder­versammlun­g.

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