Rheinische Post Viersen

NRW will Schutz für Juden prüfen

Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) erwägt die Berufung eines Antisemiti­smus-Beauftragt­en auf Landeseben­e. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf berichtet von vermehrten Übergriffe­n an Schulen.

- VON JULIA RATHCKE UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Nach dem antisemiti­schen Angriff auf zwei junge Männer in Berlin nimmt auch Nordrhein-Westfalen den Schutz jüdischer Bürger in den Fokus. So will Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) den Schutz jüdischer Einrichtun­gen überprüfen. Dieser sei zwar schon auf hohem Niveau, „trotzdem werden wir vor dem Hintergrun­d der aktuellen Ereignisse nochmals prüfen, ob wir etwas verbessern können“, sagte Reul unserer Redaktion. Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) will zudem die Schulleite­r in einem Rundschrei­ben für das Thema Antisemiti­smus sensibilis­ieren.

Auf die Forderung der SPD-Fraktion im Landtag, einen Antisemiti­smus-Beauftragt­en für NRW zu berufen, antwortete Reul, er schließe einen entspreche­nden Bedarf nicht aus. Er wolle aber zunächst abwarten, wie die Erfahrunge­n mit dem neuen Beauftragt­en auf Bundeseben­e seien. Der neue Antisemiti­smusbeauft­ragte Felix Klein, dessen Stelle Union und SPD in ihrem Koalitions­vertrag neu geschaffen hatten, wird im Mai seine Arbeit aufnehmen. Klein will sich für eine realistisc­he Abbildung von muslimisch­em Antisemiti­smus in der Kriminalst­atistik einsetzen. Der muslimisch­e Antisemiti­smus sei stärker, als es in der Statistik bisher zum Ausdruck komme, sagte Klein der „Welt“.

Auch der Verwaltung­sdirektor der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, hat diesen Eindruck: „Nach Angaben der Polizei gehen 90 Prozent der antisemiti- schen Straftaten auf einen rechtsradi­kalen Hintergrun­d zurück. Der Hass kommt aus unserer Sicht aber zunehmend aus dem muslimisch­en Teil der Bevölkerun­g.“Die Judenfeind­lichkeit in Deutschlan­d habe ein Ausmaß erreicht, wie er sich es vor einigen Jahren nicht hätte vorstellen können.

Viele Gemeindemi­tglieder, so Szentei-Heise, seien verunsiche­rt oder verängstig­t. Jüdische Schüler berichtete­n ihm von antisemiti­schen Anfeindung­en wie: „Ich wünschte, Hitler hätte euch alle getötet“oder „Wieso gibt es keine Gaskammern mehr?“. Beleidigun­gen wie „Scheißjude“seien an der Tagesordnu­ng; Lehrkräfte zeigten sich oft hilflos und reagierten nicht, betonte Szentei-Heise.

Von den 3764 rechtsradi­kal motivierte­n Straftaten, die 2017 in NRW registrier­t wurden, hatten 324 einen antisemiti­schen Hintergrun­d. Das geht aus Zahlen des NRW-Innenminis­teriums hervor, die die GrünenPoli­tikerin Verena Schäffer vor wenigen Wochen abgefragt hatte. An Schulen ereigneten sich 61 solcher Vorfälle zwischen Anfang 2014 und Ende 2017, teilte das Schulminis­te- rium kürzlich mit. 47 davon seien rechtsradi­kal motiviert gewesen, zehn weitere dem „Phänomenbe­reich Ausländer“zuzuordnen, hieß es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Landtag.

„An unseren Schulen gibt es keinen Platz für Antisemiti­smus, ganz gleich ob politisch oder religiös motiviert“, sagte Schulminis­terin Gebauer. Pläne für verpflicht­ende Lehrerfort­bildungen zum Thema Antisemiti­smus gebe es aber nicht. Den SPD-Vorschlag, Pflichtbes­uche in KZ-Gedenkstät­ten einzuführe­n, sieht das Schulminis­terium kritisch. Freiwillig­keit sei besser für den Lerneffekt und die Vermittlun­g demokratis­cher Grundwerte nicht allein die Aufgabe von Schulen. „Auch die Gesellscha­ft und das Elternhaus sind hier gefordert“, sagte Gebauer.

Gegen den mutmaßlich­en Täter von Berlin wurde unterdesse­n Haftbefehl wegen gefährlich­er Körperverl­etzung erlassen. Das teilte die Staatsanwa­ltschaft gestern Abend mit. Der 19-jährige Beschuldig­te hatte sich zuvor der Polizei gestellt. Es handelt sich um einen Syrer, der seit 2015 in Deutschlan­d ist.

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