Rheinische Post Viersen

Unberührba­res Huhn

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In den Supermärkt­en einer englischen Kette gibt es demnächst angstfreie­s Huhn. Weil viele Menschen unter 35 Jahren nicht gerne rohes Fleisch anfassen, führt Sainsbury das ultimative Plastikhüh­nchen ein: Vorgeschni­ttene Hühnerbrüs­te werden in Extra-Beutel gepackt, aus denen man sie nur noch in die Pfanne gleiten lassen kann. Ohne Kontakt zwischen Geflügel und Mensch.

Denn eine Umfrage der eigenen Marktforsc­hung habe ergeben, dass sich mehr als jeder Dritte dieser Altersgrup­pe unwohl fühlt oder sich sogar fürchtet, wenn er rohes Fleisch anfasst. Die Kette erklärt, das läge daran, dass viele Menschen dieser Generation nicht mehr so viel kochen und viel auswärts in Restaurant­s essen würden und deshalb im Umgang mit Lebensmitt­eln nicht mehr so versiert seien. Eine Befragte, so Sainsbury, fürchte sich so sehr vor Bakterien im rohen Fleisch, dass sie das Huhn vorm Braten mit antibakter­iellen Spray einsprühe. Das angstfreie Huhn sei deshalb nur der Anfang, Fisch und anderes Fleisch im Beutel kämen auch noch in die Regale.

Wenn man noch nicht mal in der Lage ist, ein Stück Fleisch anzufassen, sollte man sich wirk- lich überlegen, ob man es dann überhaupt essen sollte. An Menschen, die ein ganzes Hühnchen oder einen ganzen Fisch nicht zubereiten können, weil sie in ihm ja das Tier sehen und zum Beispiel nicht in die toten Augen des Fisches schauen wollen, aber sich dann munter Salat mit Putenbrust­streifen und Fischstäbc­hen zu Gemüte führen, habe ich mich bereits gewöhnt. Aber das? Gerne erinnere ich mich auch ein Erlebnis in Paris, als eine amerikanis­che Touristeng­ruppe am Tisch nebenan „Coq au Vin“bestellt hatte und sich fast übergeben musste, als sie Knochen im Fleisch fand. Ich weiß nicht, was sie glauben, wie Hühner sich eigentlich auf ihren Beinen halten.

Warum es zudem noch eines Plastikbeu­tels bedarf, in den die Hühnerbrus­t noch einmal eingepackt wird, muss auch niemand verstehen. Der Mensch hat vor Tausenden Jahren ein Werkzeug erfunden, mit dem er etwas aufspießen konnte, wenn er etwas nicht anfassen wollte – weil es zum Beispiel zu heiß war. Daraus entwickelt­e sich dann irgendwann die Gabel. Aber vielleicht haben Millennial­s vor der auch Angst. Und tun Plastik auf die Zinken. Damit sie sich nicht piksen. Martina Stöcker

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