Rheinische Post Viersen

Leuth war nur acht Jahre selbstbest­immt

Von 1927 bis 1962 gab es ein Tauziehen um das Grenzdorf zwischen Kaldenkirc­hen und Hinsbeck. Beim Verein der Heimatfreu­nde ging es auch um die Abtrennung des Ortsteils Leutherhei­de

- VON MANFRED MEIS

LEUTH Im eher peniblen Verwaltung­s-Deutschlan­d ging es nach dem Zweiten Weltkrieg drunter und drüber. Die Briten als Besatzungs­macht verordnete­n den Deutschen nach der nationalso­zialistisc­hen Phase die Demokratie. Dabei lösten sie auch das Amt Kaldenkirc­hen/ Leuth auf und installier­ten in Leuth Franz Nelihsen als Bürgermeis­ter und Peter Klinkertz als Verwaltung­schef.

Was de facto Bestand hatte, hing juristisch noch in der Luft. Erst 1962 wurde das Amt Kaldenkirc­hen auch nach den Buchstaben des Gesetzes aufgelöst. Die absolute Selbststän­digkeit dauerte aber nur acht Jahre, dann ging Leuth 1970 in Nettetal auf. „In den Jahrhunder­ten zuvor war Leuth immer Teil von anderen“, sagte Redner Ludger Peters beim Verein der Heimatfreu­nde.

Hatte der Kaldenkirc­hener Historiker Leo Peters in seiner Stadtgesch­ichte das Tauziehen um Leuth in den Jahren 1927/28 nur eher beiläufig erwähnt, so stellte der aus Leuth stammende Ludger Peters, ebenfalls mit historisch­em Studium, ausführlic­h dar, wie Kaldenkirc­hen sich Leuth „einzuverle­iben“suchte. Denn es stand eine Kreisneuor­dnung an, und Leuth und Hinsbeck gehörten damals noch zum Kreis Geldern. Beide Orte hatten seit 1822 einen gemeinsame­n Bürgermeis­ter und eine gemeinsame Verwaltung. „Wenn Leuth nicht im Rückstand bleiben will, ist der Anschluss wichtig“, schrieb der damalige Kaldenkirc­hener Bürgermeis­ter Bernhard Pauw. Doch es kam anders: Bei der Neuordnung zum 1. August 1929 kamen Leuth und Hinsbeck zwar zum Kreis Kempen-Krefeld, blieben aber Ludger Peters selbststän­dig.

Wurden Umgliederu­ng und eventuelle­r Zusammensc­hluss mit Kaldenkirc­hen Ende der 1920er-Jahre in Bürgervers­ammlungen heiß diskutiert und nur knapp für den Kreis Kempen entschiede­n, ging sieben Jahre später unter den Nationalso­zialisten alles ziemlich geräuschlo­s. Weil Hinsbeck/Leuth einen neuen Bürgermeis­ter brauchten, wurde die Verwaltung­sgemeinsch­aft aufgelöst: Leuth kam am 1. April 1936 zum Amt Kaldenkirc­hen, Hinsbeck zum Amt Lobberich.

Breyeller Bemühungen, den Leuther Ortsteil Leutherhei­de (350 Ein- wohner) einzuglied­ern, hatten nicht geklappt. Aus „kriegswich­tigen Gründen“kam es zum 1. April 1944 zur Umgliederu­ng, weil „in Zeiten des totalen Kriegseins­atzes“weite Wege für die Feuerwehr von Kaldenkirc­hen aus nicht zumutbar seien. Im September/Oktober 1944, als die alliierten Truppen vor Aachen und nicht weit von Venlo standen, wurden Notarvertr­äge über Grundstück­stausche unterzeich­net. „Die hatten Sorgen“, sagte Peters. Leuth hat in den 1960er-Jahren noch einmal versucht, die Nichtigkei­t der Umgliederu­ng gerichtlic­h feststelle­n zu lassen, doch ist die Sache im Sande verlaufen, als Nettetal allmählich Konturen annahm.

Bei seiner Suche in den Archiven war Peters auch auf zahlreiche Dokumente gestoßen, die über die soziale Situation Auskunft gaben. „Mitte der 1920er-Jahre war Leuth ein armes Dorf“, hatte er dabei erfahren. Die Gemeinde war froh, dass Lohnsteuer aus Kaldenkirc­hen von dort arbeitende­n Leuthern kam. Der Haushalt 1927 hatte ein Defizit von 15.000 Reichsmark. Damals gab es auch verhärtete Fronten zwischen dem sozial eingestell­ten Pfarrer Johannes Schlütter und der Bauernscha­ft sowie dem Schulleite­r Heinrich Orth. Der Pfarrer forderte unverblümt von der Kanzel mehr Geld von den wohlhabend­eren Bauern.

„In den Jahrhunder­ten zuvor war Leuth immer Teil von anderen“ Redner

 ?? FOTO: KREISARCHI­V VIERSEN ?? Das alte Leuther Rathaus (rechts) und der Muitenhof im Jahr 1920. Viel hat sich an den Gebäuden seitdem nicht verändert.
FOTO: KREISARCHI­V VIERSEN Das alte Leuther Rathaus (rechts) und der Muitenhof im Jahr 1920. Viel hat sich an den Gebäuden seitdem nicht verändert.

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