Rheinische Post Viersen

„Den Funken wieder überspring­en lassen“

Borussias Torwart erklärt, woran es in dieser Saison hapert, sagt, worauf des in den letzten Spielen ankommt und verrät, dass er nach Niederlage­n schlecht schläft.

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Herr Sommer, freuen Sie sich aufs Heimspiel gegen Wolfsburg?

SOMMER Natürlich! Warum nicht?

Bei der Mitglieder­versammlun­g kam das Thema auf, dass Sie in der Nordkurve einen nicht ganz so angenehmen „Fanklub“haben, der Sie schon beim Warmmachen beschimpft.

SOMMER Das ist ein bisschen falsch rübergekom­men. Vor dem Spiel gegen Augsburg im Januar ist das einmal passiert. Da ging es eben gegen mich persönlich, was ich nicht akzeptiere. Das gehört nicht in ein Fußballsta­dion. Aber für mich hat sich das Thema erledigt.

Können alle, die nicht selbst Torwart sind, das Torwartspi­el überhaupt verstehen?

SOMMER Es gibt viele, die es verstehen, aber auch viele, die es nicht verstehen (lacht). Das ist aber als Torwart und selbst als Feldspiele­r ganz normal, dass Leute es nicht kennen, selbst auf dem Platz zu stehen. Trotzdem dürfen sie das, was sie sehen, beurteilen. Wenn sie meinen: ‚Hey Sommer, das war Mist!‘, dann ist das schon okay.

Wenn Sie nicht gerade selbst Torhüter waren, kennen die Cheftraine­r im Profifußba­ll Ihre Rolle eigentlich auch nicht.

SOMMER Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Cheftraine­r explizit beim Torwartspi­el nicht so sehr einmischen. Klar, es wird über den Spielaufba­u gesprochen oder bei eindeutige­n Fehlern wird gesagt: ‚Yann, den kannst du aber halten.‘ Ansonsten wird es dem Torwarttra­iner überlassen.

Wie würden Sie Ihre Saison zusammenfa­ssen?

SOMMER In den letzten Monaten – München und das zweite Tor mal weggelasse­n – hat es mir selbst wieder besser gefallen, auch von der Ausstrahlu­ng her und wie ich mich fühle. Ich achte nicht immer nur auf die Paraden. Letztes Jahr hatte ich eine Phase, in der es ein Auf und Ab war. Jetzt gelingt es mir wieder, alles dafür zu tun, dass wir Spiele gewinnen. Es ist nicht einfach, das über einen langen Zeitraum konstant hinzubekom­men. Aber das ist mein Anspruch.

Dieter Hecking wurde nachgesagt, auch auf der Mitglieder­versammlun­g, er könne die Mannschaft nicht richtig motivieren.

SOMMER Ich sehe das nicht so! Wenn du im Fußball in einer schwierige­n Situation bist, wird überall nach Gründen gesucht, und dann kommt man schnell auf solche Sachen. Wie der Trainer mit der Mannschaft arbeitet und spricht, kann niemand von außen beurteilen. Er kann sehr motivieren­d sein. Ich sehe das aber nicht so und ich finde auch nicht, dass er uns vor jedem Spiel besonders motivieren müsste. Was soll er sagen: ‚Ihr dürft gegen Bayern spielen, seid mal motiviert?‘ Das muss von der Mannschaft selbst kommen. Auch für so ein Heimspiel gegen Wolfsburg vor fast vollem Haus sollte uns niemand motivieren müssen.

Wie wichtig sind diese letzten vier Spiele?

SOMMER Die Tabellensi­tuation ist vielleicht nicht mehr so entscheide­nd. Wir haben selbst ganz andere Ansprüche als das, was wir gezeigt haben. Ich fände es wichtig, dass wir für den ganzen Verein inklusive Fans und uns vier Spiele machen, damit wir mit einem guten Gefühl in die Sommerpaus­e gehen können.

Warum ist das so schwierig? Auch unter Dieter Hecking ist es schon gelungen und so groß waren die personelle­n Veränderun­gen nicht.

SOMMER Ich frage mich natürlich auch, warum wir es zu selten hinbekomme­n in diesem Jahr, dem Gegner das Gefühl zu geben: Heute nicht! Wir reden viel auf dem Platz, aber es fehlt manchmal die Power. Das bekommt man nicht auf Knopfdruck hin, sondern bedarf einer Entwicklun­g.

Wie sieht Ihre Rolle in diesem System aus?

SOMMER Meine wichtigste Aufgabe ist es, viel mit der Mannschaft zu sprechen, um ihr im Spiel ein Sicherheit­sgefühl zu geben. So geht es Stufe für Stufe weiter: Die Innenverte­idiger sind dafür verantwort­lich, dass die Sechser gut stehen und so weiter. Man braucht viel Kommunikat­ion, aber auch Selbstvert­rauen und Automatism­en, das hat uns aus verschiede­nen Gründen zuletzt etwas gefehlt. Auch die Unzufriede­nheit rundherum im Stadion nimmt definitiv Einfluss auf ein Team.

Finden Sie die Kritik ungerechtf­ertigt?

SOMMER Sachliche Kritik ist immer angebracht. Als Fan, der in den Borussia-Park kommt, würde ich auch nicht nur Siege sehen wollen, sondern eine Mannschaft, die dabei den Funken aufs Publikum überspring­en lässt. Man muss so ehrlich sein, dass uns das bislang nicht oft genug gelungen ist. Darum kann ich die Unzufriede­nheit verstehen. Damit umzugehen, ist unser Job.

Ist das diese Saison denn noch zu schaffen? Oder muss in der Sommerpaus­e einmal der Reset-Knopf gedrückt werden?

SOMMER Diese vier Spiele jetzt finde ich sehr wichtig – für Zeichen der Mannschaft gegenüber den Fans und Zeichen der Fans gegenüber der Mannschaft. Ich bin jetzt vier Jahre hier, in der meisten Zeit war es einfach geil, im Borussia-Park Fußball zu spielen. Egal, ob wir gewonnen haben oder nicht, war es ein geiles Gefühl, und ich wusste, wenn ich ins Stadion eingelaufe­n bin, dass die Leute hinter uns stehen. Ich bin zu- versichtli­ch, dass wir das in Zukunft wieder hinbekomme­n.

Das wieder hinzukrieg­en, klingt nach einer Mammutaufg­abe,

SOMMER Ich glaube nicht. Mit jeder neuen Saison beginnt ein neues Kapitel. Es wird ein paar Veränderun­gen geben, wie immer, und dann geht es von vorne los. Die Fans müssen etwas tun, wir aber auch.

Wie können Sie persönlich dazu beitragen, dass der Funke wieder überspring­t?

SOMMER Meine Hauptaufga­be ist die auf dem Platz, die versuche ich in jedem Training und jedem Spiel mit Leben zu erfüllen. Und daneben versuche ich, das Klima zu fühlen, und mit dem Mannschaft­srat diese Dinge anzusprech­en.

Wie würden Sie Borussias Spielstil unter Trainer Dieter Hecking beschreibe­n?

SOMMER In den ersten 20, 25 Minuten in München hat man das mal wieder gesehen. Wir wissen, dass die Qualität riesig ist, wenn das Vertrauen da ist – in der Ballbehaup­tung, beim ersten Kontakt, im Passspiel. Nur brauchst du eben Mut, Ruhe und einen klaren Kopf, um diese Qualitäten auf den Platz zu bringen. Dieter Hecking ist auch ein Coach, der hinten raus spielen möchte. Aber wir sind momentan in einer schwierige­n Situation. Ich merke selbst, wie ich es mir zweimal überlege, bevor ich den Ball 20 Meter ins Zentrum spiele, was früher selbstvers­tändlich gewesen wäre. Deshalb verändert sich der Stil ein wenig, weil du mehr auf Sicherheit gehst.

Das Selbstvert­rauen schenkt einem keiner.

SOMMER Das stimmt. Deshalb sage ich ja, dass wir uns in den letzten Spielen selbst beweisen müssen, dass es besser geht.

Die Probleme waren beileibe nicht immer die gleichen in dieser Saison. Erst gab es zu viele Gegentore, dann schoss Borussia selbst zu wenig Tore.

SOMMER Ein großes Problem war, dass unsere schlechten Phasen innerhalb eines Spiels oft zu schlecht ausgefalle­n sind. Dann machen wir es dem Gegner viel zu einfach, lassen zu viele Chancen zu. Den Bayern zum Beispiel hat man angesehen, dass sie nach so ein Gegentor ruhig bleiben. Sie sind so überzeugt von sich, was wir bei einem solchen Lauf wie ihn die Bayern haben, sicherlich auch wären. Aber auch so sind wir gegen Hoffenheim dreimal zurückgeko­mmen und haben enorm viel Moral gezeigt.

Wie sehr wurmt Sie diese Saison?

SOMMER Zunächst einmal muss man aufpassen, dass man die Saison nicht zu schlecht redet. Die Hinrunde zum Beispiel war bis auf einige Ausnahmen noch richtig gut. Die Rückrunde dagegen verlief aus unterschie­dlichen Gründen so gar nicht nach unserem Geschmack. Sie dürfen nie vergessen, wie sehr wir als Sportler nach Siegen lechzen. Das beeinfluss­t das Privatlebe­n, die Stimmung im Allgemeine­n. Es ist so wichtig für uns, erfolgreic­h zu sein und Zufriedenh­eit im Umfeld zu spüren. Wenn du aufstehst am Sonntagmor­gen, fühlst du dich gut. Nach einer Niederlage stehst du eher auf und hast dicke Augen, weil du schlecht geschlafen hast.

Schauen Sie nach Niederlage­n auf Ihren Social Media Kanälen, was so geschriebe­n wird?

SOMMER Ja hin und wieder, aber nicht nur nach Niederlage­n. Social Media ist ein zweischnei­diges Schwert. Ich war immer ein großer Fan davon, weil man den Leuten auch mal etwas geben kann, was sie bei Ihnen in der Zeitung nicht finden (lacht). Aber es werden dort auch viele negative Dinge geschriebe­n, die teilweise weit über konstrukti­ve Kritik hinausgehe­n. Ich lasse mich davon aber nicht beeinfluss­en.

Nach dem Spiel gegen Berlin hat das sozusagen von Angesicht zu Angesicht stattgefun­den. Ist es manchmal hilfreich, wenn solche Dispute offen ausgetrage­n werden?

SOMMER Wir haben nicht gut gespielt gegen Berlin, aber wir haben gewonnen. Damit war das Ziel für mich erreicht. Es ärgert mich, wenn dann die Mannschaft trotzdem angepöbelt wird. Deshalb habe ich das Gespräch gesucht und danach hatte es sich für mich auch erledigt. Jetzt beschäftig­e ich mich nur noch mit der Aufgabe gegen Wolfsburg. Ich freue mich auf solche Abende, wo wir gemeinsam mit unseren treuen Fans das wahre Gesicht von Borussia zeigen können. INTERVIEW: KARSTEN KELLERMANN UND JANNIK SORGATZ

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FOTO: IMAGO Yann Sommer (29) ist seit 2014 Borussias Nummer eins.

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