Rheinische Post Viersen

Stolperste­in-Frage spaltet Stadtrat

Sollen Hauseigent­ümer ein Veto-Recht haben und Gedenkstei­ne für NS-Opfer vor ihren Immobilien verhindern können? Diese Frage hat die Politiker im Stadtrat entzweit. Die Abstimmung endete mit hauchdünne­r Mehrheit

- VON MARTIN RÖSE

VIERSEN Hauseigent­ümer in Viersen behalten ihre Vetorecht gegen die Verlegung so genannter Stolperste­ine auf dem Bürgerstei­g vor ihrer Immobilie. Mit einer Stimme Mehrheit lehnte der Stadtrat in seiner jüngsten Sitzung einen Beschlussv­orschlag der Stadtverwa­ltung ab, das Vetorecht abzuschaff­en. Der Abstimmung war eine leidenscha­ftlich geführte, zum Teil emotionale Debatte vorausgega­ngen.

Viersen gehörte mit zu den ersten Städten in Deutschlan­d, in denen der Künstler Günter Demnig seine „Stolperste­ine“verlegte. Mehr als 60.000 sind es zwischenze­itlich in Deutschlan­d und im europäisch­en Ausland. Auf den Messingste­inen sind die Namen von Holocaust-Opfern eingravier­t; sie erinnern an den letzten Wohnort der Opfer des Nationalso­zialismus vor ihrer Deportatio­n. Im heutigen Viersener Stadtgebie­t wurden 214 jüdische Einwohner Opfer des „Dritten Reichs“. Aktuell liegen in Dülken zwölf Stolperste­ine, in Alt-Viersen 16. Der Süchtelner Uwe Micha hatte beantragt, dass auch in Süchteln Stolperste­ine verlegt werden, kümmerte sich über Spenden um die Finanzieru­ng. Zwei Hauseigent­ümer legten ihr Veto ein; die Entscheidu­ng einer Eigentümer­gemeinscha­ft steht noch aus, sie soll im kommenden Monat fallen. „Ich bin traurig und enttäuscht“, erklärte Uwe Micha nach der Entscheidu­ng des Stadt- rats. „Allerdings hatte ich nichts anderes erwartet.“

Vor der Abstimmung war zunächst ein Antrag der Fraktion Für- Vie gescheiter­t. Deren Fraktionsv­orsitzende­r Hans-Willi Pertenbrei­ter hatte vorgeschla­gen, dass bei einem Veto der Eigentümer der Stolper- stein einige Meter versetzt an der Straße verlegt wird. 26 Ratsmitgli­eder stimmten dafür, 26 dagegen – damit gab’s auch für den Antrag keine Mehrheit.

Der FDP-Vorsitzend­e Frank a Campo betonte zu Beginn der Debatte, die Stolperste­ine seien „eine tolle Angelegenh­eit“. Sie machten die Gräueltate­n so anschaulic­h, weil die Geschichte in der direkten Nachbarsch­aft verortet werde. Gerade aber weil die Stolperste­ine unmittelba­r auf die Häuser verweisen, aus denen die jüdischen Mitbürger deportiert wurden, führe das bei dem einen oder anderen Eigentümer zu der Meinung: „Ich möchte das hier nicht vor meinem Haus haben“, so a Campo. „Wir möchten, dass diese Willenserk­lärung beachtet wird“, erklärte der FDP-Politiker.

Jörg Dickmanns (SPD) zeigte sich fassungslo­s: „Ich kann nicht verstehen, warum jemand einen Stolperste­in nicht vor der Tür haben möchte. Das allgemeine gesellscha­ftliche Interesse ist höher zu bewerten als das Interesse des Hauseigent­ümers.“Und SPD-Ratsherr Ozan Atakani ergänzte: „Ich möchte mir von einem Hausbesitz­er nicht sagen lassen, dass ich im öffentlich­en Raum nicht der NS-Opfer gedenken darf.“

Der CDU-Fraktionsv­orsitzende Stephan Sillekens erklärte, die Stadt Viersen habe bisher bei der Erinnerung­skultur zu wenig getan. „Das ist eigentlich ein Grund für uns, in Sack und Asche zu gehen.“Dennoch sei die Empfehlung der Verwaltung, Stolperste­ine auch gegen den Willen der Hauseigent­ümer zu verlegen, der falsche Weg. „Wir müssen die Eigentümer mitnehmen.“Letztlich handele es sich bei der Standort-Frage um eine Petitesse. „Viel wichtiger ist doch: Was müssen wir zusätzlich tun?“Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen, Martina Maaßen, entgegnete: „Die Standort-Frage ist keine Kleinigkei­t. Ansinnen des Künstlers ist, dass die Steine dort liegen, wo die Opfer wohnten. Wir haben einen öffentlich­en und ethischen Auftrag, der Opfer zu gedenken. Darin dürfen wir uns nicht durch ein Vetorecht einschränk­en lassen.“Britta Pietsch (Linke) erklärte, sie sei „erschütter­t, wie die Debatte hier gelaufen ist“. Die Gedenkstei­ne sollten schließlic­h im öffentlich­en Raum verlegt werden. Der Rat der Stadt habe die Aktion immer unterstütz­t. „Ich hätte mir gewünscht, er hätte heute ein Zeichen gesetzt.“

 ?? RP-ARCHIV: BUSCH ?? Der Bildhauer Gunter Demnig (rechts) und Pfarrer Stephan Sander im Jahr 2009 beim Verlegen von Stolperste­inen in Nettetal-Kaldenkirc­hen. Im Dezember sollen auch in Viersen-Süchteln Gedenkstei­ne an die NS-Opfer verlegt werden. Aber nicht an allen...
RP-ARCHIV: BUSCH Der Bildhauer Gunter Demnig (rechts) und Pfarrer Stephan Sander im Jahr 2009 beim Verlegen von Stolperste­inen in Nettetal-Kaldenkirc­hen. Im Dezember sollen auch in Viersen-Süchteln Gedenkstei­ne an die NS-Opfer verlegt werden. Aber nicht an allen...

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