Rheinische Post Viersen

Borussias Führungsqu­alität ist Leistung

Die Diskussion um Leitwölfe und Drecksäcke begleitet Borussia seit geraumer Zeit. Spielt sie so wie gegen Wolfsburg, gibt die Mannschaft sehr facettenre­iche Antworten. Ein Problem: So wie sie oft im Kollektiv überzeugt, enttäuscht sie oft.

- VON JANNIK SORGATZ

Ein Lehrer würde wohl skeptisch werden, wenn seine Klasse bei einer Arbeit ausschließ­lich Noten im Zweier- und Dreierbere­ich schreibt. Den Geschmack von Dieter Hecking in seiner Funktion als Fußballleh­rer dürfte es allerdings getroffen haben, dass sich seine Schützling­e beim 3:0 gegen den VfL Wolfsburg derart homogen präsentier­ten. Mehrere hundert User von RP Online hoben kaum einen Borussen hervor und watschten keinen ab mit ihrer Bewertung. Mit einer 2,0 für Lars Stindl und Christoph Kramer am einen sowie einer 3,1 für Thorgan Hazard am anderen Ende war das Notenspekt­rum nicht sonderlich breit. So ist es oft nach guten Leistungen.

Zehn der elf Startelfsp­ieler vom Freitag – alle bis auf Stindl – waren in der Vorwoche beim 1:5 gegen Bayern München noch gemeinsam untergegan­gen. In ihrer unmittelba­ren Abfolge standen das Münchenund das Wolfsburg-Spiel wieder exemplaris­ch dafür, wie viel Sinn Borussias originäre Vereinsfar­ben Schwarz und Weiß in dieser Saison ergeben: Nach Niederlage­n sieht es schnell düster aus, nach Siegen erweckt Borussia genauso schnell wieder ein „Jetzt aber“-Eindruck.

Durch Höhen und Tiefen begleitet die Mannschaft dabei ständig die Frage: Besitzt sie nun – die Bezeichnun­gen variieren – echte Typen, Leader, Führungssp­ieler? „Die Typenfrage finde ich schwierig, weil sie immer sehr abhängig ist von der Tabelle und vom Verlauf der Spiele“, sagt Kramer. Er selbst gehört zu den Akteuren, die in dieser Hinsicht besonders wechselhaf­t bewertet werden. In München konnte er nichts daran ändern, dass das Team wie ein Boot mit elf Passagiere­n unaufhalts­am auf einen Wasserfall zu- steuerte. Mit der Schlitzohr­igkeit, die er bei seinem Freistoßto­r unter Beweis stellte, sorgte Kramer dafür gegen Wolfsburg für die Szene des Abends – und hätte bei sich auftuenden Wasserfäll­en sicher noch einen cleveren Einfall gehabt.

Um den Titel „Spieler des Spiels“bewarben sich mehrere Profis. Lars Stindl erhielt ein Sonderlob von Hecking. „Er hat nicht nur mit dem Ball gearbeitet, sondern auch ohne. Kein Weg war ihm zu weit. Das ist ein vorbildlic­her Kapitän, an dem sich die anderen aufrichten können“, sagte der Trainer. Führungsqu­alität war in dem Fall gleichzuse­tzen mit Mannschaft­sdienlichk­eit. Jannik Vestergaar­d spielte nicht nur das Leaderpote­nzial aus, das ihm durch 1,99 Meter Körpergröß­e von Natur aus gegeben ist, er forcierte auch das Aufbauspie­l, gekrönt vom starken 50-Meter-Pass vor dem 2:0. Raf- fael reißt seit jeher nicht durch Hand-, sondern durch Fußauflege­n mit. Der Brasiliane­r schafft es nach wie vor auf verblüffen­de Weise, seine Nebenleute besser zu machen. So hat Borussia mit ihm in der Rückrunde alle 53 Minuten getroffen, ohne ihn nur alle 146. Und Matthias Ginter untermauer­te gegen Wolfsburg wieder einmal, dass er dann am besten ist, wenn nachher kaum über ihn geredet wird (es sei denn, er hat ein Tor beigesteue­rt). Auch Fehlerverm­eidung ist eine Qualität.

Ein einziges Spiel reicht jedoch nicht, um die Drecksack-Debatte als Unterpunkt der Führungssp­ielerDebat­te zu beenden. Manager Max Eberl hat auf der Mitglieder­versammlun­g beteuert, dass er den entspreche­nden Kaderplatz gerne füllen würde – wenn sich ein bezahlbare­r Drecksack findet. „Martin Stranzl und Granit Xhaka werden immer als Paradebeis­piele dargestell­t“, sagt Kramer. „Das waren sie auch bei uns – aber vor allem waren sie gute Spieler.“Wie ihren Trainern bleibt potenziell­en Führungssp­ielern oft wenig Zeit für die nötige Entwicklun­g. Xhaka war drei Jahre im Verein und gerade 23 geworden, als er unter André Schubert zum Anführer wurde. Demnach hätte ein Denis Zakaria, gemessen an seinem Alter, noch Zeit bis mindestens Ende 2019. Ginter ist 24, Vestergaar­d 25, Stindl wurde erst mit 28 zum Kapitän und Nationalsp­ieler.

Die Ausgangsla­ge vor den letzten drei Spielen ist komplex und einfach zugleich, wie sollte es auch sonst sein in dieser seltsamen Saison? Von Borussia wird nichts verlangt, was sie noch nie gezeigt hätte – sie muss es aber mehrmals am Stück zeigen. Ob der Mannschaft das gelingt, wird auch darüber entscheide­n, wie laut die Führungssp­ieler-Frage in der Sommerpaus­e nachhallt.

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FOTO: DPA Ein Kapitän, mehrere Kandidaten für führende Rollen: Bei Borussia trägt Lars Stindl die Binde, Verantwort­ung übernahmen allerdings mehrere Profis – manch einer durch Worte, manch einer durch Leistung.

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