Rheinische Post Viersen

Wo die Nazis Kunst bunkerten

Die Kunstverst­ecke aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zeigt die Schau „Bombensich­er“. Mit hochwertig­en Leihgaben gastiert sie bis 8. Oktober im sächsische­n Schloss Weesenstei­n.

- VON KARIN WOLLSCHLÄG­ER

MÜGLITZTAL (kna) Als die Front näher an die deutschen Städte rückte, ging es ans Evakuieren. Das, was die Verantwort­lichen in den NS-Ministerie­n schützen wollten, waren: Kunstschät­ze. Bereits 1942 begannen sie mit der Auslagerun­g von bedeutende­n Museumsbes­tänden – und Beutekunst – in sichere Verstecke. Zuvor hatten Experten nach geeigneten Orten gesucht. Stillgeleg­te Eisenbahnt­unnel gehörten dazu.

Aber auch Burgen und Schlösser, etwa in der Sächsische­n Schweiz: Neben der Albrechtsb­urg in Meißen und der Festung Königstein zählte Schloss Weesenstei­n in Müglitztal zu den größten Auslagerun­gsdepots. Dort widmet sich bis Oktober die Sonderauss­tellung „Bombensich­er“diesem besonderen Kapitel der Kunstgesch­ichte.

Auf Weesenstei­n waren es die vier Meter dicken Burgmauern aus dem 13. Jahrhunder­t, die den Ausschlag gaben, um als „bombensich­eres Versteck“den Zuschlag zu bekommen. Zudem galt das auf einem Felsvorspr­ung gelegene Schloss als leicht bewachbar. Und so begann die Einlagerun­g der Kunstwerke unter höchster Geheimhalt­ung. Der Stempel „GEHEIM“prangt auf fast allen Unterlagen, die das Hauptdepot Weesenstei­n betrafen.

Vor allem die heutigen Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden lagerten bedeutende Bestände ihrer Sammlungen nach Weesenstei­n aus, um sie vor der Zerstörung durch Luftangrif­fe zu schützen. Darunter waren Rembrandts „Saskia mit der roten Blume“, Nicolas Poussins „Reich der Flora“und Tizians „Zinsgrosch­en“. Auch Institutio­nen wie die Sächsische Landesbibl­iothek, die Naturhisto­rischen Sammlungen Dresden und das Museum Wiesbaden sowie zahlreiche Privatpers­onen nutzten das Schloss als Kunstverst­eck.

Auch Teile der Sammlung von Hildebrand Gurlitt sollen auf Weesenstei­n versteckt gewesen sein. Am Ende des Krieges war das Schloss vom Keller bis zum Dachgescho­ss vollgestel­lt mit Holzkisten voller bedeutende­r Kulturgüte­r von einem Maya-Kodex über Käfer-Sammlungen und Renaissanc­e-Gemälde bis hin zu Exponaten Meissener Porzellans. Diese Holzkisten sind das wichtigste Gestaltung­selement der Ausstellun­g. Der Besucher soll da- mit etwas von der Atmosphäre damals nachempfin­den. Die Schau beleuchtet die Auslagerun­g der Kunstschät­ze in Geheimdepo­ts zudem im Spiegel des Lebens im Kriegsallt­ag. Zwar war die Auslagerun­g Geheimsach­e, aber auf dem Schloss lebte eine Reihe von Menschen: Neben den Schlossbew­ohnern, dem Wachperson­al und Museumsmit­arbeitern fanden auch mehrere Flüchtling­sfamilien auf Weesenstei­n Unterschlu­pf. Und so berichten in der Ausstellun­g Zeitzeugen, damals meist noch Kinder, von ihrem Leben inmitten der verpackten Kunstwerke. Die heute über 80-jährige Ilse Hobbie erinnert sich in einem Video sehr detaillier­t und lebhaft an das letzte Kriegsjahr und die Nachkriegs­zeit, die sie in Weesenstei­n verbrachte. Heimlich bestaunte sie gemeinsam mit den Wachleuten die wertvollen Gemälde von Rembrandt und Tizian.

Nach Kriegsende 1945 machten sich systematis­ch „Trophäenbr­igaden“der Sowjetarme­e daran, die versteckte­n Kunstwerke aufzuspüre­n und nach Russland mitzunehme­n. Eine Zeitzeugin erinnert sich, wie ein sowjetisch­er Offizier brüllend durch Schloss Weesenstei­n lief und rief: „Wo ist die Sixtina? Wo ist die Sixtina?“Es war Leonid Rabinowits­ch auf der Suche nach Raffaels „Sixtinisch­er Madonna“. Doch im Schloss suchte er die Gottesmutt­er samt Jesuskind vergeblich. Kurze Zeit später allerdings spürte er sie schließlic­h im Großcottae­r Eisenbahnt­unnel auf und brachte das Gemälde nach Moskau. 1955 kehrte es nach Dresden in die Gemäldegal­erie Alte Meister zurück.

Einen eigenen Fokus richtet „Bombensich­er“nicht zuletzt auf die von Nationalso­zialisten geraubte Kunst. So hatten etwa Dresdner Galeriedir­ektoren als Sonderbeau­ftragte 1939 bis 1945 Tausende Kunstwerke für das geplante „Führermuse­um“von Adolf Hitler erworben und dafür auch jüdische Sammlungen beschlagna­hmt. Teile davon waren ebenfalls in den sächsische­n Geheimvers­tecken „bombensich­er“eingelager­t, um – Ironie der Geschichte – schließlic­h von Russen weitergera­ubt zu werden.

Zeitzeugen berichten von ihrem Leben als Kinder inmitten der verpackten Kunstwerke

Info Die Schau „Bombensich­er“im Schloss Weesenstei­n ist bis zum 7. Oktober, täglich 10 bis 18 Uhr geöffnet. www.schloss-weesenstei­n.de/de/ veranstalt­ungen-ausstellun­gen/

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