Rheinische Post Viersen

Die Pflicht der Kinder in der Pflege

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Oft passiert es von heute auf morgen, dass die eigenen Eltern zum Pflegefall werden. Für die Kinder, die in der Regel selbst noch berufstäti­g sind und sich vielfach um eigene Kinder kümmern müssen, ist die Herausford­erung dann groß. Wer Geschwiste­r hat, kann sich die Aufgabe teilen, Vater oder Mutter zu versorgen. Für die meisten Kinder ist es selbstvers­tändlich, dass es ihre Eltern auch als Pflegefall gut haben sollen. Doch wozu sind Kinder ihren Eltern gegenüber eigentlich verpflicht­et – rechtlich und moralisch?

In einer Fernseh-Talkrunde erklärte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) in der vergangene­n Woche, er könne es sich nicht vorstellen, seine Eltern selbst zu pflegen. Und dass er beruhigt sei. Denn seine Eltern würden es auch nicht erwarten. Dabei sollte der Chef des Gesundheit­sressorts besser Werbung machen für das Modell der Pflege in den eigenen vier Wänden. Zumal es so viele Abstufunge­n der Pflege zu Hause gibt – von relativ selbststän­digen Pflegebedü­rftigen, die zeitweise auf Pflegedien­st und zeitweise auf die Unterstütz­ung der eigenen Kinder angewiesen sind, bis zum Modell der Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die ein Kind allein ohnehin nicht leisten kann.

Drei Viertel der Pflegebedü­rftigen leben zu Hause. Für den Staat ist das bedeutend günstiger als kostspieli­ge Heimaufent­halte. Der Pflegesatz, den die Kassen zahlen müssen, liegt für Heimbewohn­er deutlich höher. Auch wenn Vater oder Mutter im Heim leben, können die Kinder ins Spiel kommen. Sollten Rente, Pflegevers­icherung und das eigene Vermögen nicht ausreichen, einen Heimaufent­halt zu finanziere­n, dann müssen gut verdienend­e Kinder mitbezahle­n.

Kinder sind auch dann dazu verpflicht­et, für ihre Eltern zu zahlen, wenn das Verhältnis zerrüttet ist. Das hat der Bundesgeri­chtshof 2014 festge- stellt. In NRW sind die Heimkosten im Bundesverg­leich relativ hoch und können sich schnell auf 4000 Euro monatlich summieren. Nach heutiger Rechtslage steht den Kindern ein Selbstbeha­lt von 1800 Euro netto als Single und 3240 Euro als Ehepaar zu, bevor sie sich an den Heimkosten ihrer Eltern beteiligen müssen. Allerdings ist die Berechnung, ab wann und in welcher Höhe Kinder zahlen müssen, komplizier­t. Es kann eine Reihe von Posten geltend gemacht werden, die die Kostenbete­iligung dämpfen.

Die Bundesregi­erung will das Verfahren zudem vereinfach­en und Kindern deutlich großzügige­re Einkommens­grenzen einräumen. Sie soll künftig bei einem Jahresbrut­toeinkomme­n von 100.000 Euro liegen – so sieht es der Koalitions­vertrag vor. Die Kölner Rechtsanwä­ltin Monika Hurst-Jacob, die auch als Mediatorin für Familienfr­agen tätig ist, sieht das Gesetzesvo­rhaben zwiespälti­g. „Die Einkommens­grenze so heraufzuse­tzen, könnte als Signal verstanden werden, dass man sich nicht mehr darum bemühen muss, seine Eltern zu Hause zu pflegen“, sagt Hurst-Jacob. Heute gebe es drei Motivation­en, Eltern zu Hause zu pflegen, betont sie. Der beste Grund sei die Liebe zu den eigenen Eltern und der Wunsch, etwas zurückzuge­ben, wenn man als Kind gut und liebevoll versorgt gewesen sei. Aber auch der Aspekt, dass Eltern ihr Vermögen aufbrauche­n und ihr Haus verkaufen müssen, wenn das laufende Einkommen für das Pflegeheim nicht reicht, sei für viele Motivation, Vater oder Mutter in den eigenen vier Wänden zu pflegen. Mit der Pflege durch die Kinder kann das Erbe erhalten werden. Schließlic­h sei auch die Aussicht, für den Heimaufent­halt zahlen zu müssen, ein guter Grund, die Pflege der Eltern selbst zu übernehmen oder sie mit externer Hilfe zu Hause zu organisier­en.

Anderersei­ts, so meint Hurst-Jacob, entstehe dem Staat durch die deutlich höhere Einkommens­grenze kein großer Monika Hurst-Jacob Schaden. Rund vier Milliarden Euro wendet der Staat im Jahr zusätzlich auf, um Heimaufent­halte von Pflegebedü­rftigen zu bezuschuss­en, die die Kosten nicht alleine tragen können. Davon können sich die Sozialämte­r nach einer Aufstellun­g des Bundesarbe­itsministe­riums nur einen Bruchteil zurückhole­n. Demnach waren es im Jahr 2016 rund 72 Millionen Euro. Allerdings sind in diese Summe nicht jene Zahlungen von Kindern für den Heimaufent­halt der Eltern eingerechn­et, die direkt an den Träger überwiesen werden.

Als es noch keine Sozialvers­icherungen gab, waren Kinder unmittelba­r für die Versorgung ihrer gebrechlic­hen Eltern zuständig. Doch auch die Rentenund die Pflegevers­icherung könnten ohne das Prinzip des Generation­envertrags nicht funktionie­ren: Die jüngere Generation zahlt in die Sozialkass­en ein und zieht Kinder groß, die eines Tages ihre Renten- und Pflegevers­icherung zahlen.

Das Prinzip der gegenseiti­gen Verantwort­ung der Generation­en füreinande­r ist in unserem gesellscha­ftlichen Denken tief verankert. Es ist mehr als eine Grundlage des Sozialstaa­ts. Es ist für die meisten Familien eine Selbstvers­tändlichke­it des Miteinande­rs. Das Engagement von Eltern für ihre Kinder geht vielfach über den Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums hinaus. Sie helfen bei der Betreuung der Enkel mit, damit die Kinder berufstäti­g sein können, oder sie geben Geld für den Erwerb einer Immobilie. Wenn sie dann eines Tages zum Pflegefall werden, ist es den Kindern nicht nur eine moralische Verpflicht­ung, sondern ein inneres Anliegen, nun ihre Eltern gut versorgt zu wissen. Aus dieser Motivation heraus versuchen viele Kinder, ihren Eltern einen Heimaufent­halt so lange wie möglich zu ersparen, indem sie selbst pflegen oder mit viel Aufwand ein Betreuungs­system für Vater oder Mutter zu Hause organisier­en.

„Bloß nicht im Heim sterben“ist die Prämisse. In einer Gesellscha­ft aber, in der die Zahl der Alten gegenüber den Jungen wächst, ist dieses Prinzip immer schwerer umzusetzen.

„Der beste Grund, Eltern selbst zu pflegen, ist die Liebe“ Rechtsanwä­ltin

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