Rheinische Post Viersen

Die Wiederbele­bung der Seidenstra­ße

Duisburg profitiert als einer der Endpunkte von der Investitio­nsoffensiv­e von Chinas Präsident Xi Jinping. Doch es gibt auch kritische Stimmen.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DUISBURG Noch am Morgen hat Martin Körner hohen Besuch aus China in Duisburg empfangen: fünf Regierungs­vertreter, fünf Unternehme­r. Wie gut, dass der Prokurist des Duisburg Intermodal Terminal (DIT) inzwischen eine Mitarbeite­rin hat, die fließend Mandarin spricht. Macht auch Sinn, immerhin ist der Duisburger Hafen einer der Endpunkte der „Neuen Seidenstra­ße“.

Vor fünf Jahren eröffnete Staatspräs­ident Xi Jinping bei einem Auftritt vor Studenten in Kasachstan einen Plan namens „One belt, one road“. Mit der Wiederbele­bung der Seidenstra­ße wollen die Chinesen ein Verbindung­snetz mit neuen Wirtschaft­skorridore­n entlang der mythischen antiken Handelsrou­te bauen. Hunderte Millionen Dollar an Investitio­nen stellt Peking dafür in Aussicht. Statt Trampeltie­ren und Kamelen sind es unter anderem Güterverke­hrszüge, die auf einer 11.000 Kilometer langen Strecke verkehren.

Mit einigen Problemen: Auf dem Gebiet der Ex-GUS-Staaten haben die Schienen eine andere Spurbreite als in China und Europa. Deshalb müssen die Container umgeladen werden. Das kostet Zeit, doch Zeit ist Geld im Transportg­ewerbe. Aber es geht Schritt für Schritt voran: Waren die Waggons in den Anfangszei­ten 19 Tage auf der Strecke, so schrumpfte diese Spanne auf zwölf bis 14 Tage. Erklärtes Ziel sind zehn.

Neben den unterschie­dlichen Spurbreite­n fordert auch das Wetter seinen Tribut: Um die extremen Temperatur­schwankung­en insbesonde­re in Kasachstan auszugleic­hen, sind für anfällige Produkte wie Laptops oder Tablets teure SpezialCon­tainer nötig. Die stapeln sich auf dem Areal, über das DIT-Prokurist Körner an diesem Tag schlendert. Das liegt auch daran, dass mehr Züge aus China nach Europa gelangen als umgekehrt: 15 empfängt DIT Woche für Woche, zehn gehen wieder zurück. Platzprobl­eme gibt es dadurch allerdings nicht. Rechnet man die gerade entstehend­e neue Außenfläch­e mit ein, hat das DIT-Areal 225.000 Quadratmet­er, das sind 31,5 Fußballfel­der. Ein riesiger Hybrid-Kran fährt an dem Prokuriste­n vorbei und trägt einen wuchtigen Leercontai­ner vorbei, ganz so, als wiege dieser nicht mehr als eine Feder. Körner steuert auf die sechs Bahngleise zu, über denen drei blaue Kräne gerade zwei Züge entladen. Zwölf Stunden bevor die Ware aus China hier einfährt, bekommen sie bei DIT eine Mitteilung aus Malasevice, einem 1700-SeelenDorf an der weißrussis­ch-polnischen Grenze. An dem dortigen Verladepun­kt werden die Container von einem Breitspur- auf einen Schmalspur­zug verladen, ehe er in Richtung Westen weiterroll­t. Mit Hilfe der nun vorliegend­en Daten über die Zusammense­tzung des Zuges können die DIT-Mitarbeite­r mit der Planung beginnen: Wo soll welcher Container abgestellt werden, damit ein möglichst reibungslo­ser Ablauf gelingen kann? In der Regel werden die 600 Meter langen Züge dann am späten Abend von einer Dieselrang­ierlok auf eines der sechs Gleise gezogen. Wegen Formalität­en benötigen sie ein bis zwei Tage, ehe alle Container wieder das Gelände verlassen – in der Regel auf einem der 700 Lkw, die hier täglich ein- und ausfahren.

Für den Hafen hat sich die „Belt and road“-Initiative schon bezahlt gemacht. Der Eisenbahnv­erkehr erzielte 2017 ein Plus von 6,8 Prozent zum Vorjahr auf 18,8 Millionen Tonnen. Während in Duisburg also Euphorie herrscht, gibt es auch Kritiker wie Jan Weidenfeld, Abteilungs­leiter am unabhängig­en Berliner Thinktank Mercator Institute for China Studies (Merics). Bislang sei die Bilanz recht ernüchtern­d, sagt er: „Es handelt sich um kluges Marketing der Chinesen, denn die Initiative zahlt sich in erster Linie für sie selbst aus.“Die Europäer könnten nur profitiere­n, wenn sie Möglichkei­ten fänden, mitzusteue­rn. Aber derzeit sehe es nicht danach aus: „Neun von zehn Projekten, die im Rahmen der Initiative entstehen, gehen an chinesisch­e Unternehme­n.“

Die Regierung in Peking verfolgt Weidenfeld zufolge eine klare Agenda: „Einerseits sollen Überkapazi­täten abgebaut werden – beispielsw­eise im Bereich der Stahl- oder Zementindu­strie.“Auch gehe es darum, chinesisch­en Produzente­n neue Absatzmärk­te und Wettbewerb­svorteile zu verschaffe­n und westliche Konkurrent­en so am Ende sogar aus dem Markt zu drängen.

Zugleich schaffe China politische Abhängigke­iten: „Für den Ausbau der Infrastruk­tur vergibt Peking Projekt-Kredite, für die aber die jeweiligen Länder selbst bürgen müssen. In Mazedonien etwa wurde ein Autobahnpr­ojekt umgesetzt, dessen Investitio­nssumme größer ist als das Bruttoinla­ndsprodukt des Landes“, sagt der Merics-Experte. „Im Gegenzug für wirtschaft­liche Zuwendunge­n Chinas im Rahmen der ,Belt and Road’-Initiative, sollen Nehmerländ­er Absichtser­klärungen unterschre­iben.“Darin stehe unter anderem ein Passus, dass diese Länder die Interessen Chinas wahren sollen – etwa wenn es um territoria­le Streitigke­iten wie die im Südchinesi­schen Meer geht.

China stellt die „Belt and Road“Initiative als neues Modell von Globalisie­rung dar. Es sei quasi der Gegenentwu­rf zu der Abschottun­gspolitik von Donald Trump. „Ich rate aber dazu, nicht all zu überschwän­glich zu sein. Nicht alle Versprechu­ngen, die China in der Vergangenh­eit gemacht hat, hat das Land auch gehalten – das zeigen die Erfahrunge­n zahlreiche­r Nachbarsta­aten.“

China nutze die Initiative ganz knallhart zur Durchsetzu­ng eigener Interessen. „Das wurde besonders deutlich bei dem ersten ,Belt and Road-Gipfel’ im vergangene­n Mai“, sagt Weidenfeld. Damals habe die Führung in Peking den ranghohen Teilnehmer­n Dokumente zur Zukunft der Initiative zur Unterschri­ft vorgelegt. „Es ging nicht darum, irgendetwa­s zu verhandeln. Das zeigt schon den Geist der Initiative.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany