„Bitte die nächste Möglichkeit rechts“
Immer mehr Fahrschüler in NRW fallen durch die theoretische und praktische Prüfung. Fahrlehrern zufolge liegt das vor allem an der Motivation: Es werde zu wenig gelernt, für viele sei der Führerschein zudem nicht mehr so wichtig.
DÜSSELDORF Ana Wiegandt ist erleichtert. Soeben ist sie zum ersten Mal Auto gefahren – und alles hat gut geklappt. Die Düsseldorferin macht gerade ihren Führerschein. Seit dem vergangenen Herbst ist sie bei der Fahrschule angemeldet, gestern fand die erste Fahrstunde statt. Die Theorieprüfung hat Wiegandt noch nicht abgelegt. Bis Oktober will sie den Führerschein in der Tasche haben. Schneller gehe das momentan einfach nicht, sagt die 21Jährige: „Ich arbeite als Schichtleiterin in einem Restaurant, da habe ich nicht mehr Zeit fürs Lernen und für Fahrstunden.“
Eigentlich könnte Wiegandt schon seit drei Jahren Auto fahren. „Im Abitur hatte ich für die Fahrschule aber keine Zeit.“Und danach habe sie die Anmeldung immer wieder verschoben. Jetzt ist sie durch den Studienbeginn im Oktober voll motiviert – und will auf keinen Fall durchfallen. Die Sorge ist nicht unberechtigt: In Nordrhein-Westfalen scheitern laut Angaben des Kraftfahrtbundesamtes immer mehr Fahrschüler an der Führerscheinprüfung. 35 Prozent Durchfallquote waren es 2017 in der Theorie, knapp 29 Prozent in der Praxis. Beim Autoführerschein sind die Quoten sogar noch höher: Bundesweit fielen 2017 44 Prozent der Fahrschüler durch die theoretische und fast 40 Prozent durch die praktische Fahrprüfung.
Dass mangelnde Deutschkenntnisse für schlechte Ergebnisse in der Theorie verantwortlich sein sollen, glauben viele Fahrlehrer nicht. Quatsch, sagt zum Beispiel Heinz Krupp, der seit 42Jahren als Fahrlehrer in Düsseldorf arbeitet. Die theoretische Prüfung könne in allen europäischen Sprachen plus Arabisch abgelegt werden. „Außerdem ist schon vor 30Jahren ein Drittel der Fahrschüler durchgefallen.“Ähnlich sieht das Michael Blandow von der Krefelder Fahrakademie Nilges. Er hat für die vielen gescheiterten Prüfungen eine einfache Erklärung: „Es wird schlicht viel zu wenig gelernt.“Seit zehn Jahren unterrichtet Blandow Fahrschüler. „Denen sage ich: eine halbe Stunde pro Tag reicht, aber das Interesse muss da sein.“
Genau dieses fehle aber bei vielen Fahrschülern. „Als ich 1994 den Führerschein gemacht habe, wollten den alle direkt mit 18 Jahren haben“, sagt Blandow, „heute ist das anders, das Auto hat einen niedrigeren Stellenwert.“Diese Erfahrung hat auch Frank Schulten, Inhaber einer Weseler Fahrschule, gemacht. Das falle nicht nur bei den Durchfallquoten auf, sondern auch bei der Geschwindigkeit, mit der die Fahrschüler ihre Stunden absolvierten. Viele Fahrschüler quälten sich re- gelrecht bis zum Führerschein, manche brauchten allein für die Theorie fast ein ganzes Jahr. „Da fehlen Drang und Lernmotivation.“
Bei der Praxis liegt es Schulten zufolge dagegen auch am Fahrlehrer, den Schüler möglichst gut auf die Prüfung vorzubereiten – und nicht zu früh zuzulassen. Viele Prüflinge überschätzten ihre Fähigkeiten, dazu kämen Konzentrationsschwierigkeiten und motorische Defizite. „Das schlägt sich in mehr Fahrstunden und einer hohen Durchfallquote nieder“, so Schulten. Laut Heinz Krupp ist aber auch das nicht unbedingt neu: „Wer weniger Talent zum Fahren hat, muss eben mehr üben.“
„Auf den Schulterblick achten“, „Die Kupplung langsam kommen lassen“und „Bitte die nächste Möglichkeit rechts abbiegen“– solche Sätze wird Ana Wiegandt künftig häufiger hören. Nach ihrer ersten Fahrstunde ist die Düsseldorferin optimistisch und trotzdem besorgt. Denn viele Freunde hätten von schlechten Erfahrungen erzählt. Einige seien sogar durch beide Prüfungen gerasselt. Teils seien sie zu nervös gewesen, teils aber auch einfach zu faul. „Ich kenne Leute, die haben kaum gelernt und dachten, sie probieren das einfach mal aus“, sagt die 21-Jährige. Das funktioniere aber nicht: „Das ist wie im Abitur, da muss man sich eben einfach mal hinsetzen und lernen.“
Noch heute bekomme ich Wut im Bauch, wenn ich an meine erste Führerscheinprüfung 1997 zurückdenke. Ich war bei der Prüfungsfahrt als Zweiter dran, vor mir eine junge Frau. Die hatte die Tränen schon in den Augen, als sie einstieg. Draußen brüllte ihr Vater: „Fall bloß nicht ein drittes Mal durch!“Aber natürlich passierte genau das. Gerade aus der Einfahrt raus, da trat der Fahrlehrer für sie auf die Bremse – sie hatte einen Fußgänger übersehen. Sie also heulend auf die Rückbank. Und ich hinters Steuer. Ich wollte, dass sie aussteigt. Der Prüfer aber sagte: Nix da, sie bleibt im Auto. Das geht ja gut los, dachte ich. Ich fuhr los – und das zügig. Zu zügig für meinen Fahrlehrer, der mich sofort warnte: So würde ich es nicht bis zur nächsten Ampel schaffen. Das schaffte ich dann doch. Und auch noch über ein paar andere Ampeln – obwohl die Rückbank ein einziges Meer von Tränen war. Plötzlich trat mein Fahrlehrer auf die Bremse. Ich hätte beim Linksabbiegen ein entgegenkommendes Auto übersehen. Durchgefallen.
Bei meiner zweiten Prüfung bestand ich schon nach 20 Minuten. Der Prüfer, im Stress vor den Feiertagen, sagte: „Sehen Sie es als Weihnachtsgeschenk an. Spielen Sie in Zukunft lieber Klavier oder ein anderes Instrument! Aber fahren Sie bitte nicht Auto!“Wenn der gewusst hätte, dass ich als Kind aus drei verschiedenen Musikschulen geflogen bin ... Christian Schwerdtfeger (38), NRW-Chefreporter, ist nicht stolz auf das Bild in seinem „Lappen“. Zu seiner Ehrenrettung: Das Bild war Teil einer Wette und entstand nach einer Vor-Abitur-Feier.
Das muss man mir erst einmal nachmachen: Ich hatte die Auto-Fahrprüfung 1979 bestanden und scheiterte dann doch. Aber der Reihe nach: Fahrstunden hatte ich relativ viele gebucht – meine Eltern hatten mit vier Kindern kein Auto in der Kölner City, die Autowelt war mir deshalb sehr fern. Bei einer Fahrstunde mit dem Motorrad rutschte ich in einer Kurve auf Laub weg und knallte hin – „Weiterfahren, sonst fahren Sie nie mehr“, herrschte mich Fahrlehrer Bosselmann trotz meiner blutgetränkten Klamotten an.
Die Theorie für Auto und Motorrad hatte ich sofort bestanden. Dann lief die praktische Autofahrprüfung exzellent, sogar das Rückwärts-Einparken. Irgendwann meinte der Prüfer: „Fahren Sie da in die ruhige Seitenstraße und stellen sich dahin.“Er holte schon das Formular zum Unterschreiben. Plötzlich rief er irgendetwas, noch lauter mein Fahrlehrer, ich war abgelenkt, die Stoßstange tippte eine Mülltonne auf dem Gehweg mit vier oder fünf Stundenkilometern an, die ruckte einen Zentimeter zur Seite. „Tja, Pech gehabt, jede Fremdkörperberührung bedeutet Durchfallen“, sagte der Prüfer.
Meine Revanche: Die Motorrad-Prüfung einige Minuten danach bestand ich, alle anderen fielen durch. Sie hatten Erfahrung mit Kleinkrafträdern und fuhren zu schnell, ich glänzte durch ruhigen Fahrstil. Die Auto-Prüfung bestand ich dann später doch noch. Reinhard Kowalewsky (58), Chefreporter Wirtschaft, hat seinen grauen Lappen verloren. 1987 bekam er deshalb einen rosafarbenen Führerschein mit diesem Bild.