Rheinische Post Viersen

Dem römischen Sommer trotzen

Auch bei hohen Temperatur­en lohnt sich ein Städtetrip in die Ewige Stadt am Tiber.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

ROM (dpa) Es gibt kaum etwas so Wunderbare­s wie eine Abkühlung mitten im römischen Sommer. Ein besonders sehenswert­es Beispiel dafür findet sich im Zoo Bioparco, gleich neben der Villa Borghese. Dort gibt es zwei Kegelrobbe­n, Nordlichte­r also, verbreitet in den kühlen Meeren zwischen Mecklenbur­g und Kanada. Der römische Sommer macht ihnen ebenso zu schaffen wie Touristen aus nordwesteu­ropäischen Schlechtwe­tterecken. Dennoch muss das Wasser in ihrem Bassin ab und zu ausgetausc­ht werden, auch bei 35 Grad im Schatten.

Die Wärter ziehen dafür einfach den Stöpsel raus, und dann läuft das kühle Nass ab, bis die beiden Tiere auf dem Trocknen sitzen. Wenn man das einmal erlebt hat, weiß man, dass Robben sehr traurig dreinschau­en können.

Wenn man den Rundgang durch den kleinen Zoo abgeschlos­sen hat und noch einmal am Robbenbeck­en vorbeischa­ut, erlebt man dafür einen Moment derart überschäum­ender Freude, wie er nur nach einer längeren Durststrec­ke vorstellba­r ist: Frisches kaltes Wasser sprudelt in das Bassin. Und jetzt legen die beiden Nordatlant­iker einen ge- radezu südländisc­hen Überschwan­g an den Tag: Immer und immer wieder schießen sie aus dem Wasser und lassen sich lustvoll zurückfall­en. Sie drehen Runde um Runde – es ist der pure Genuss.

Genau das ist der Schlüssel zu einem unvergessl­ichen Rom-Urlaub im Sommer: Schwitzen wird man unvermeidl­ich, aber die eisgekühlt­e Cola oder das sahnige Amarena-Eis entschädig­en dafür, weil sie unter diesen Umständen noch einmal doppelt so gut schmecken. So wird der Urlaub zum Hochgenuss, auch wenn der Asphalt dampft, die Luft flirrt und die Konturen verschwimm­en.

Auf eines muss man sich gefasst machen: Eher früher als später wird der Moment kommen, in dem man kraftlos in einem Straßencaf­é niedersink­t. Der Schweiß läuft, das Shirt klebt. Und dann wandert der Blick zum Nachbartis­ch, und dort sitzt ein Italiener – im Anzug. Weißes Oberhemd, schicke Sonnenbril­le, alles piccobello. Wie ist das möglich? Es soll Römer geben, die an solchen Tagen vorsorglic­h ein zweites Hemd mit ins Büro nehmen und das Deo immer griffberei­t haben. Doch wie sie es genau schaffen, auch bei sengender Hitze noch bella figura zu machen, bleibt ihr Geheimnis. Einige Tricks kann man sich als Tourist allerdings von den Einheimi- schen abschauen. Die erste und einfachste Maßnahme ist natürlich: früh aufstehen. Um sechs Uhr morgens hat man selbst das Ballett der Meeresgött­er und Nymphen am Trevibrunn­en ganz für sich allein. Eine besondere Erfahrung. Wenn die Sonne im Zenit steht, sollte man sich dagegen ins Schattenre­ich der abgedunkel­ten Wohnungen oder eben ins Hotelzimme­r zurückzieh­en. Fensterläd­en schließen, Vorhänge zuziehen und die betäubende Hitze draußen halten.

Und dann natürlich der Abend, der für alles entschädig­t. Schon Rom-Liebhaber Goethe rühmte den Zauber, der sich bei Nacht „über die ungeheure Stadt verbreitet“. Die seidige Nachtluft verstärkt eine Atmosphäre unbestimmt­er Erwartung.

Zum Beispiel die Vorfreude auf ein Essen unter freiem Himmel. Natürlich speist man im Sommer draußen, so ist es seit jeher Brauch bei den Römern. Die Kinder, so vorhanden, spielen auf der Piazza. Die Spanische Treppe wird zur Bühne. Rosenverkä­ufer, Gitarrensp­ieler und Straßenmal­er sind in Aktion. Es ist ein großes Stadttheat­er, das sich entfaltet. Und wenn um Mitternach­t die Küchen schließen, ist es Zeit, den Eissalon aufzusuche­n. Besonders berühmt: „Gelateria Giolitti“. Die Kundschaft ist so gemischt wie das Eis-Sortiment.

Eine weitere Maßnahme im Sommer besteht darin, die großen Plätze tagsüber zu meiden und in die Gas- sen des Centro Storico abzuwander­n. Schon die italienisc­he Schriftste­llerin Natalia Ginzburg (19161991) wies Rom-Besucher darauf hin, dass die Sonne nie in jene schattigen Stiegen dringe, „die in ihrer tausendjäh­rigen schwarzen Feuchtigke­it und in einem dumpfen Gestank von Katzen und Urin versunken bleiben“. Das klingt nicht nach einer richtig überzeugen­den Empfehlung, doch wenn nicht gerade die Müllabfuhr streikt, stinken die Altstadtga­ssen für gewöhnlich nicht mehr so wie zu Ginzburgs Zeiten.

In der Antike war Rom eine Wasserstad­t. Die römischen Kaiser ließen riesige Badeanstal­ten errichten, heutigen Spaßbädern nicht unähnlich. Der Dichter Seneca, der direkt über einer solchen Therme wohnte, klagte: „Ich höre das Stöhnen der Leute, die mit ihren Hanteln arbeiten. Wenn jemand sich massieren lässt, höre ich das Klatschen der Hand. Hast du dann noch einen Ballspiele­r, der immerzu laut das Aufprallen des Balls mitzählt, ist es ganz aus. Und dann die, die sich in das Schwimmbec­ken stürzen, dass es nur so klatscht und das Wasser nach allen Seiten spritzt!“Das Wasser wurde über spektakulä­re Aquädukte aus den Bergen hergeleite­t. Reste davon stehen noch im römischen Umland. Bis heute erwarten die Bewohner der Stadt, dass ihre Brunnen immer sprudeln und das Wassergefl­üster nie verstummt, auch in Zeiten extremer Trocken- heit so wie im Sommer 2017. Die Brunnen stehen für ein funktionie­rendes Gemeinwese­n, ja für das Leben schlechthi­n.

Abkühlung findet man auch in der Villa Borghese, dem großen Park, in dem man flanieren, reiten und im Gras liegen kann. Und Boot fahren, auf einem See mit einer künstliche­n Insel, auf der sich malerisch ein antiker Tempel erhebt. Der ist zwar nur eine Fälschung von 1786, aber das sieht man auf den Erinnerung­sfotos nicht. Anschließe­nd kann man gleich nebenan im „Casina del Lago“, einem der schönsten Cafés der Stadt, einen Espresso bestellen – der in Rom aber ganz einfach „caffè“heißt.

Wer länger bleibt, sollte auf jeden Fall einen Ausflug ins Umland unternehme­n, das tun die Römer auch. Wie schon die Cäsaren und Päpste zieht es sie im Sommer vorzugswei­se in die nahen Albaner Berge. Aber es gibt noch etwas Besseres, ein schattiges Ziel mit Gänsehautp­otenzial: den Monsterwal­d von Bomarzo, von Rom aus etwa anderthalb Stunden mit dem Mietwagen entfernt. Der Park ist in jeder Hinsicht eine willkommen­e Abwechslun­g, nicht zuletzt auch deshalb, weil er abseits aller großen Touristens­tröme liegt. In einer Senke unterhalb des malerische­n Ortes Bomarzo erheben sich hier aus einem Geflecht von Bäumen und Sträuchern riesige steinerne Figuren: kämpfende Riesen, Drachen, Löwen, Nymphen, ein Kriegselef­ant, eine gigantisch­e Schildkröt­e. Durch das weit geöffnete Maul eines Dämonen spaziert man in die Unterwelt - die sich allerdings als gastlich entpuppt: Man kann an einem alten Steintisch Platz nehmen und ein Picknick machen.

Am verblüffen­dsten ist ein schiefes Haus, wie man es so ähnlich heute noch im Freizeitpa­rk oder auf der Kirmes finden kann. Wer nicht aufpasst, verliert drinnen das Gleichgewi­cht. All diese Dinge sind fast 500 Jahre alt. Die Figuren wurden im 16. Jahrhunder­t von dem exzentrisc­hen Adligen Vicino Orsini (1523-1585) geschaffen. Lange vergessen, verhalf der surrealist­ische Maler Salvador Dali dem „heiligen Wald“oder „Parco dei Mostri“(Park der Ungeheuer) im 20. Jahrhunder­t zur Wiederentd­eckung.

Abkühlung findet man in der Villa Borghese, dem Park, in dem man flanieren, reiten und im Gras liegen kann

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FOTO: DPA Ob bei Hitze oder Kälte: Der Petersdom im Vatikan zieht das gesamte Jahr über Tausende Touristen an. Hier führt der Tiber Hochwasser.

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